Jedenfalls verlangen Reineckes Klavierkonzerte von jedem Solisten überzeugende Virtuosität, lassen sich aber musikalisch nicht darauf reduzieren. Vielmehr ist es auch hier die für Reinecke charakteristische Mischung von konservativen Elementen mit formaler Klarheit und romantischer Kantabilität, die interpretatorisch mehr fordern als reine Skalenläufe und weite Sprünge. Das zeigt sich besonders in den langsamen Sätzen, aber auch in der Wahl von seltenen Tonarten wie fis-Moll, e-Moll und h-Moll und den damit verbundenen Ausdrucksbereichen. Im Vergleich zu der älteren Aufnahme gelingt hier Simon Callaghan und dem Sinfonieorchester St. Gallen unter Medestas Pitrenas ein Spagat (etwa im mittleren Satz von op. 72) zwischen in sich ruhender Klassizität einerseits und intensiven Farben, solistischen Dialogen und harmonischen Weggabelungen andererseits. Gerade hier ist ein «Reinecke» zu entdecken, den man so gar nicht vermutet hätte. In den Ecksätzen fehlt den Interpreten indes der Mut, dies konsequent umzusetzen. Das Orchester «begleitet» eher, manchmal gar nur hölzern, als dass es ein eigenes Profil entwickelt.
Carl Reinecke. Klavierkonzert Nr. 1 fis-Moll op. 72; Klavierkonzert Nr. 2 e-Moll op. 120; Klavierkonzert Nr. 4 h-Moll op. 254
Simon Callaghan (Klavier), Sinfonieorchester St. Gallen, Medestas Pitrenas
Hyperion CDA 68339 (2021)