Nicht vierhändig, sondern für zwei Klaviere bzw. Flügel sind diese Kompositionen von Carl Reinecke bestimmt, der zu jenen Jubilaren gehört, die in diesem Jahr und auch weiterhin in der zweiten Reihe stehen und stehen werden. Nur wenige Häuser haben auf seinen 200. Geburtstag reagiert – darunter immerhin das Leipziger Gewandhaus, dessen Orchester Reinecke einst über 35 Jahre vorstand, das bis heute gültige Repertoire (mit)prägte und ihn am Ende sehr unfreundlich aus dem Amt drängte. Wichtig hat er sich freilich nicht genommen, laute und spektakuläre Positionen sucht man bei ihm vergebens. Kein Revolutionär, vielmehr als Bewahrer einer klassisch-klassizistischen Traditionslinie (auch am Konservatorium) hat er Geschichte geschrieben. Seine Werke wurden gedruckt und reichlich nachgedruckt. Hier gäbe es noch viel zu entdecken – wenn nur endlich ein quellengestütztes Werkverzeichnis in Angriff genommen würde…
Nicht erst zum Jubeljahr hat das Label cpo seine Liebe zu Reinecke und seiner bezaubernden Musik entdeckt. Schon länger wird dort ausgegraben und geradezu systematisch nach Gattungen produziert. Hier nun sind es sämtliche Werke für zwei Klaviere auf drei CDs. Ein bunter und weit gefächerter Strauß aus fast allen Jahrzehnten des Schaffens, aber auch von merklich unterschiedlicher kompositorischer bzw. ästhetischer Qualität. Aber gerade das zeichnet für mich eine solche Produktion aus, die sich nicht auf noble Ausschnitte beschränkt, sondern zur Diskussion anregt und klingendes Material bereithält. Interessanterweise sprechen mich dabei die drei veritablen Sonaten am wenigsten an, in denen zu sehr der formale Rahmen durchscheint. Eine Mittelstellung nehmen die Werke ein, in denen Reinecke sich schöpferisch mit der Vergangenheit auseinandersetzt (etwa die Reformationsfeier für das Jahr 1886 mit mächtigen Choralvariationen und einem ganz nach Max Reger schmeckenden Finale, in das sich kontrapunktisch noch Händels Halleluja mischt). Dagegen erscheinen mir Stücke wie das Impromptu op. 66 (1859) oder die Ouvertüre zu «Zenobia» op. 194 als Transkription der eigenen Bühnenmusik besonders stark. – All dies ist beim Klavierduo Genova & Dimitrov in besten Händen, sowohl technisch wie gestalterisch, obgleich mit jenem leicht vernebelten Ton, der auch in anderen Produktionen zu finden ist.
Carl Heinrich Reinecke. Sämtliche Werke für 2 Klaviere
Andante mit Variationen op. 6; Improvisationen über «La Belle Griselidis» op. 94; Sonate für 2 Klaviere G-Dur op. 275/1; Fest-Ouvertüre op. 148; Variationen über eine Sarabande von J. S. Bach op. 24; Vier Stücke op. 241; Impromptu über ein Motiv aus Schumanns «Manfred» op. 66; Sonate für 2 Klaviere C-Dur op. 275/2; Konzert-Allegro nach Mozarts Klavierkonzert Nr. 19; Ouvertüre zu Kleins Tragödie «Zenobia» op. 193; Prologus solemnis op. 223; Sonate für 2 Klaviere F-Dur op. 240a; Zur Reformationsfeier – Variationen über «Eine feste Burg» op. 191; Bilder aus dem Süden op. 86; Improvisationen über eine Gavotte von Gluck op. 125
Klavierduo Genova & Dimitrov
cpo 555 454-2 (2021/22)
- für zwei Klaviere / Genova & Dimitrov
- Cellosonaten / Ana Turkalj
- Klavierkonzerte / Simon Callaghan
- Undine / Alexis Kossenko
- Orchesterwerke / Henry Raudales