17. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Soul of Brazil / Delgani String Quartet

Soul of Brazil / Delgani String Quartet
Soul of Brazil / Delgani String Quartet
Wenn schon von der Seele Brasiliens die Rede ist, dann stellt sich auch die Frage, mit welchen Topoi die brasilianische Musik eigentlich verbunden ist – vor allem die so genannte «klassische Musik». Jedenfalls kann einem dieser Gedanke beim Hören des Albums durch die grauen Windungen gehen. Denn im Streichquartett Nr. 6 (1938) von Heitor Villa-Lobos (1887–1959) klingen auch die Traditionen der Gattung nach, ebenso wie im Personalstil die in Paris verbrachten Jahre. Doch was ist an Cair da tarde (aus: Floresta do Amazonas, 1958) wirklich brasilianisch? Ist es nicht vielmehr die chansonhafte Interpretation der Verse durch Clarice Assad?

Hier, vor allem aber bei den Gesängen von Antônio Carlos Jobim (1927–1994), rückt das Delgani String Quartet akustisch in den Hintergrund mit einer nach funky weltmusikalisch anmutenden Begleitung, die aber keiner spezifischen Identität zuzuordnen ist. Ein paar melodische Wendungen und gelegentliche Hemiolen wie bei Estrada so sol reichen mir nicht. Ähnliches kennt man aus anderen Regionen und Kontinenten (auch in der Art des Gesangs). Wird also im Stilmix nicht nur aufgesaugt, sondern auch abgeschliffen? Am Ende ist es die im Booklet beschriebene Abenteuerlust, Lebendigkeit und Leidenschaft, die diese Produktion auszeichnet – wenngleich wenig davon nachhaltig greifbar bleibt.

Soul of Brazil
Antônio Carlos Jobim. Estrada so sol; Chovendo na roseira; Quebra-pedra; Retrato em branco e preto (Arr. Clarice Assad); Clarice Assad. Glitch; Heitor Villa-Lobos. Streichquartett Nr. 6; Cair da tarde (Arr. Clarice Assad)
Clarice Assad (Gesang, Klavier) Delgani String Quartet

AVIE AV 2620 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #125 – Brasilien