21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Pedro I. / Credo & Te Deum

Pedro I. / Credo & Te Deum
Pedro I. / Credo & Te Deum
Im Alten Europa ist so gut wie nichts über den ersten Kaiser Brasiliens als Komponisten bekannt. Dabei entstammt Dom Pedro I. (1798–1834) nicht nur einer blaublütigen, sondern auch der den Künsten und der Musik sehr zugewandten Familie Braganza: Bereits João IV. von Portugal (1604–1656) war selbst schon schöpferisch tätig und soll die zu jener Zeit größte Musikaliensammlung Europas besessen haben (sie ging wie fast die gesamte Stadt Lissabon 1755 beim Erdbeben und Großbrand verloren). Pedro I. wuchs in Brasilien auf, nachdem das portugiesische Könighaus im Winter 1807/08 vor Napoleons Truppen in die reiche Kolonie geflüchtet war. Für die musikalische Ader des Knaben möglicherweise ein Glücksfall: Hier wurde er von Marcus Portugal unterwiesen, 1816 begegnete er dem Haydn-Schüler Sigismund Neukomm in Rio de Janeiro. Der auch sonst hyperaktive Pedro I. soll Klavier, Flöte, Klarinette, Violine, Kontrabass, Posaune, Harfe und Gitarre gespielt haben…

Die für dieses Album eingespielten Kompositionen stammen durchwegs aus den Jahren 1820/21, hinzu kommt eine Hymne aus dem Jahr 1822, hier in einem Orchesterarrangement. Die (so viel Ehrlichkeit muss sein) nicht sonderlich substanzielle Ouvertüre ist ganz im „italienischen Styl“ gearbeitet, erreicht aber nicht ansatzweise das bei Rossini anzutreffende Vorbild. Anders sieht es bei den wortgebundenen Kompositionen aus, auch wenn sich Credo wie Te Deum in kaum einem Takt vom reinen Zeitstil befreien können. Oft genug kleinteilig reihend angelegt, wird die Musik hier über kürze und längere Strecken durch die lateinischen Texte getragen und motiviert. Dass der Funke von der Südhalbkugel nicht so recht überspringen will, ist dabei den Ausführenden nicht anzulasten. Im Gegenteil: Solisten, Chor und das Orchester aus Belo Horizonte zeigen einen erfrischenden wie interpretatorisch kultivierten Enthusiasmus.

Pedro I. Credo, Ouvertüre, Te Deum, Hino da Independência do Brazil
Carla Cottini (Sopran), Luisa Francesconi (Mezzo), Cleyton Pulzi (Tenor), Licio Bruno (Bass-Bariton), Concentus Musicum de Belo Horizonte, Minas Gerais Philharmonic Orchestra, Fabio Mechetti

Naxos 8.574404 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #116 – blaublütige Musik