21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Maurice Ravel / Linos Piano Trio

Maurice Ravel / Linos Piano Trio
Maurice Ravel / Linos Piano Trio
Vorsicht ist geboten, denn es droht Verwechslungsgefahr! Zugegeben: Niemand hat ein Monopol auf die griechische Mythologie – und schon gar nicht auf Linos, der als Musiklehrer des Herakles wirkte. Und dennoch: Wer kennt nicht das bereits 1977 gegründete Linos Ensemble, dass mit seinem Kern und wechselnden Zuzüglern die ganze Breite der Kammermusik vollkommen unprätentiös auf höchstem Niveau abgeschritten hat und weiter abschreitet? Das auf dem vorliegenden Album zu hörende und 2007 gegründete Linos Piano Trio hat nicht nur mit dem älteren Ensemble gar nichts zu tun, sondern geht auch ganz eigene Wege in der Interpretation. So auch auf diesem Album mit Werken von Maurice Ravel, gespielt auf einem zeitgenössischen, also «historischen» Instrumentarium.

Man muss sich wirklich einhören und die Scheibe sich mehrfach drehen lassen. Denn der Érard-Flügel von 1882 klingt ein wenig gewöhnungsbedürftig bzw. die auf ihm in neuem, altem Gewand gespielten Werke. Einerseits mischt sich das mittlere Register klangschön mit dem Violoncello, den untersten Oktaven aber fehlt die schwingende Substanz; die obersten wollen nicht recht nachschwingen, sondern machen sich eher mechanisch «klappernd» bemerkbar. Sind es Unzulänglichkeiten des Instruments oder solche der Hörgewohnheiten? Ich bin ein wenig unentschlossen, weil ich mich gegenüber neuen Erfahrungen eher aufgeschlossen zeige. Hier allerdings geht mir zu viel von der zweifelsohne vorhandenen kompositorischen Substanz verloren – das Klaviertrio fordert nunmal auch die Ränder des Ambitus heraus. Was also steht im Vordergrund: das vermeintlich originale Erleben oder die Interpretation? Seltsamerweise fügt sich in den vom Linos Piano Trio selbst angefertigten Bearbeitungen alles viel besser zusammen: die Pavane pour une infante défunte fordert eben eher die Mittellage, ebenso das Tombeau de Couperin. Hier sehe ich dann tatsächlich die tragendsten Pluspunkte der Produktion, in denen sich der interpretatorische Ansatz des Linos Piano Trios erfüllt. Es handelt sich übrigens um eine Einspielung, die noch im legendären Hans-Rosbaud-Studio des SWR in Freiburg aufgezeichnet wurde.

Maurice Ravel. Klaviertrio a-Moll; Pavane pour une infante défunte (arr. Linos Piano Trio); Le Tombeau de Couperin (arr. Linos Piano Trio)
Linos Piano Trio

Cavi-music 8553526 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #117 – Klaviertrios