21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Maarten Ter Horst / Helikon Quartet

Maarten Ter Horst / Helikon Quartet
Maarten Ter Horst / Helikon Quartet
«Aimez-vous Brahms?» So jedenfalls wird man nach dem ersten Satz des hier eingespielten Streichquartetts Nr. 1 e-Moll aus den Jahren 2017/20 fragen. Natürlich handelt es sich um kein Plagiat, aber Maarten Ter Horst (*1987) knüpft hier ganz bewusst an der Harmonik und dem musikalischen Ausdruck der fortschreitenden zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Der Gestus erinnert tatsächlich in einzelnen Passagen an den großen Hamburger, dann aber geht es in Sequenzstrecken und Tremoli weiter, die einen eher an Schubert denken lassen. Ein Werk für eine Blindverkostung, die wohl manchen Experten in die Irre führen wird (oder eben auch nicht).

Jedenfalls bietet die Geschichte von Maarten Ter Horst Hoffnung für all jene, die ihre jugendlichen Ambitionen nicht ganz verdrängt oder vergessen haben und noch immer von der Realisierung ihrer eigenen spezifischen Ausdrucksintensität träumen. Denn erst im Alter von 30 Jahren kehrte Maarten Ter Horst zu seinem früheren Wunsch zurück und vollendete nach langer und harter Arbeit gleich zwei Streichquartette – und ja, es musste offenbar die Königsgattung sein. Natürlich stellt sich beim Hören für den Komponisten, Kenner oder Nerd die eine oder andere Frage hinsichtlich der Faktur. Aber sind diese Fragen überhaupt gerechtfertigt – und wenn ja, vor welcher historischen Folie? Einen eher lyrischen Charakter weist das zweite Quartett in B-Dur auf (ein Verneigung vor Brahms op. 67?). Zugleich scheint sich Maarten Ter Horst in Teilen von seinen Vorbildern zu entfernen: Im Finale etwa werden die Melodien gefühliger, pastoser. Die vier Damen des Helikon Quartets identifizieren sich jedenfalls musikalisch mit den Partituren, verstehen sich als erste Anwältinnen – und können mit wirklich gelungenen, ganz von historistischen Allusionen befreiten Interpretationen punkten. Alles andere ist eine Frage des Geschmacks und der Abenteuerlust. Anything goes. In der Tat.

Maarten Ter Horst. Streichquartett Nr. 1 e-Moll (2017–2020); Streichquartett Nr. 2 B-Dur (2017–2020)
Helikon Quartet

Cobra Records COBRA 0081 (2020, 2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #110 – neue Streichquartette