21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Sueye Park / Isang Yun

Sueye Park / Isang Yun
Sueye Park / Isang Yun
Ich mag diese Fotos, die (wie hier) einen Komponisten vor seinem Hör-Regal zeigen. Dank scharfer Augen, Cover-Kenntnis und ein wenig Phantasie lässt sich da, ohne dass auch nur ein Ton erklungen wäre, viel ablesen – und wenn nicht, dann gewinnt man doch ein Blick auf seinen musikalischen Horizont. So auch bei diesem Foto; es zeigt Isang Yun vor mehreren Reihen MCs (ja, damals war das «klassische» Radio-Programm um Mitternacht noch so interessant, dass wir alle eifrig mitgeschnitten haben) und Langspielplatten – wunderbar! Da finden sich auch ohne Lupe Beethoven-Sonaten mit dem jüngeren Barenboim, Mahler-Sinfonien mit Karajan, aber auch eine LP mit Klavierwerken von Ferruccio Busoni sowie Josef Rufers Buch über das Werk Arnold Schönbergs. All das ist (gerne würde ich dort stöbern) nicht nur ein Hinweis auf die musikalischen Interessen, sondern zugleich auf Isang Yuns Selbstverortung in Geschichte und Gegenwart – auch wenn er einmal bemerkte: «Man darf keine Spuren hinterlassen.»

Vom «späten» Isang Yun habe ich bisher kaum etwas gehört oder Notiz genommen. Das hat Gründe, aber umso faszinierter geht nun der Blick zurück auf die Werke aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. Sie sind von einer berückenden Subjektivität, deren «Modernität» damals wohl nur begrenzt wahrgenommen wurde, heute aber aufhorchen lässt: eine sinfonische Legende (Silla, 1992), die ein sehr lebendiges postavantgardistisches Nachtstück mit landschaftlichen Assoziationspotenzial darstellt, ein aufregend anregendes Violinkonzert (Nr. 3, 1992) mit zahlreichen koreanischen Motivfragmenten, die man aber als solche kaum wahrnimmt – so stark ist der universelle Sog der Musik –, und eine Kammersinfonie (Nr. 1, 1987), die (zumal am Schluss dieses Albums) den Weg zu dieser veränderten Sprache markiert. Diese Musik überrascht in der Rückschau durch ihre Gegenwärtigkeit. Das Violinkonzert liegt bei Sueye Park in guten Händen: ihr warmer Ton und emotionales Feuer trägt über den teilweise dichten Orchestersatz hinweg. Eine Produktion, die einem gerade bei den späteren Werken die Augen, die Ohren – und das Herz öffnet.

Isang Yun. Silla. Legend for Orchestra (1992); Violin Concerto III (1992); Chamber Symphony I (1987)
Sueye Park (Violine), Seoul Philharmonic Orchestra, Osmo Vänskä

BIS Records BIS-2642 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #107 – Violinkonzerte