
Denn Schmidt gelang an der Wende zum 20. Jahrhundert und darüber hinaus das Kunststück, die «Altdeutsche» mit der Neudeutschen Schule zu versöhnen. Seine formal ausgewogen disponierte, kontrapunktisch durchgearbeitete Sinfonik kann nicht ohne Brahms gedacht werden – und doch hört man in zahllosen Gesten und der sich mächtig gebenden Harmonik viel Wagner und Strauss. Auch seine an Farben so reiche Instrumentation ist hier zuhause, zugleich hört man allerdings wie bei Bruckner den Organisten seine Register ziehen und Klangblöcke setzen. Pure Süffigkeit geht den Sinfonien ab, man muss sie sich ein wenig erarbeiten, aber sie machen es einem durch ihren klaren Aufbau nicht schwer. Und hier kommt dann die bemerkenswert unbeschwerte, fast musikantische Interpretation von Jonathan Berman ins Spiel, der die Partituren nicht mit dem fahlen Glanz einer untergehenden bzw. schon untergegangenen aristokratischen Epoche überzieht, sondern sie erstaunlich frisch, in weiten Teilen gar unbeschwert realisiert. Wer einen satten Sound erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Wer aber das schöpferische Potenzial in Schmidts Sinfonien erkunden will, findet hier einen hell ausgeleuchteten Pfad.
Franz Schmidt. Sinfonie Nr. 1 E-Dur (1896–1899); Sinfonie Nr. 2 Es-Dur (1911–1913); Sinfonie Nr. 3 A-Dur (1927/28); Sinfonie Nr. 4 C-Dur (1932/33); Intermezzo und Karnevalsmusik aus «Notre Dame» (1902–1904)
BBC National Orchestra of Wales, Jonathan Berman
Accentus ACC 80544 (2020–2022)








