23. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Ligeti / SWR Vokalensemble

Ligeti / SWR Vokalensemble
Ligeti / SWR Vokalensemble
Die Vokalmusik von György Ligeti unterliegt auch in der breiten Wahrnehmung einer Zweiteilung. Auf der einen Seite stehen das Requiem und das dazu komplementäre 16-stimmige Lux aeterna (1966), wenigstens akustisch weithin geläufig durch die auszugsweise Übernahme in den Kino-Klassiker 2001 – Odyssee im Weltraum, auf der anderen all jene Kompositionen für Chor a cappella, die zwischen 1941 und 1955 noch in Ungarn und nahezu ausschließlich auf ungarische Texte entstanden. Ligeti bevorzugte dabei Verse von Bálint Balassa, dem ersten bedeutenden Dichter des Landes, und Sándor Weöres, der zeitgenössisch mit Sprache und Akzenten spielte. Dass viele dieser Chöre auch eine politische Implikation haben, indem sie (in der ersten Hälfte der 1950er Jahre) betont unpolitisch waren, muss immer mitgedacht werden.

Insofern stellt das vorliegende Doppelalbum tatsächlich eine Gesamtaufnahme aller Chorwerke dar – eine Produktion, die einerseits vielfach einen ganz «unbekannten» Ligeti vorstellt, zum anderen aber auch mit den späteren Kompositionen in Konkurrenz tritt. Zugleich ist es die erste Aufnahme des renommierten SWR Vokalensembles unter dem neuen Chefdirigenten Yuval Weinberg – die Aufnahmedaten verweisen zudem auf die schwierigen Bedingungen innerhalb der letzten Jahre. Was freilich schon im allerersten Track auffällt, ist die betont trockene Akustik des zur Einspielung genutzten Tonstudios, das sicherlich ideale Bedingungen vor Ort, wohl aber in der Pre-Post-Produktion einen weniger idealen Klangraum bietet. So werden die Stimmen des Ensembles zwar perfekt eingefangen, es fehlt allerdings eine architektonische Umgebung, in der reagiert werden kann. Ohnehin klingt das SWR Vokalensemble auf bewundernswerte Weise sowohl in den vertrackten ungarischen Chören wie auch in den späteren Klangskulpturen perfekt, allerdings nur bedingt lebendig. Beim Lux aeterna etwa habe ich immer noch die Ersteinspielung mit der damaligen Stuttgarter Schola Cantorum unter Clytus Gottwald im Ohr, die weniger instrumental anmutet.

György Ligeti. Sämtliche Werke für Chor a cappella
Hey, Youth!, Mrs. Pápai, Couple Dances from Kálló, Songs from Mátraszentimre, Solitude, Reggel, Easter, The Three Kings of Bethlehem, Choir Song after Goethe, Choral, The Seamstresses, In a Strange Land, The Fugitive, On the Side of a High Cliff, Four Wedding Dances, Wedding Song, Songs from Inaktelke, Hortobágy, Burial at Sea, Dawn, Buryat Harvest Song, Great Times, Dawn is Breaking, Winter, Two Choirs on Poems by Balint Balassa, Orbán, The Woman and the Soldier, Two Canons, Lux aeterna, Hungarian Etudes after Poems by Sándor Weöres; Three Fantasies after Friedrich Hölderlin
SWR Vokalensemble Stuttgart, Yuval Weinberg

SWR Classic SWR19128CD (2019–2022)

HörBar<< Ligeti / Han ChenGyörgy Ligeti / Danny Driver >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    Alle Beiträge ansehen
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 3 von 5 in Michael Kubes HörBar #103 – Ligeti 100