Pöm, Pöm, Pöm. Die Deutsche Grammophon überrascht einen doch aktuell immer wieder Versuchen, in die Welt der Musik mit Produktionen einzusteigen, die man mit mehr oder weniger Fug und Recht, als musikalischen Kitsch bezeichnen muss. Vielleicht sogar ist der nicht einmal musikalisch, dieser Kitsch, sondern ein marktstratregisches Meisterstück, das seinesgleichen sucht.
Ich zitiere aus dem Waschzettel:
«‹Das Gedicht hat eine enge Beziehung zu Musik, zu Schallwellen und neurologischen Botschaften und wirft ein Licht auf einen unkontrollierbaren Körper, der zugleich seine Schönheit offenbart.› [Siehe Video unten; MH] Bei der Aufnahme von Poems entdeckte die preisgekrönte Sopranistin Guðmundsdóttir, derzeit Ensemblemitglied am Theater Basel, ganz neue Möglichkeiten, mit ihrer Stimme zu experimentieren. Anders als auf ihren gewohnten Bühnen von Konzertsaal und Opernhaus, die nach einem raumgreifenden Ton verlangen, zählt hier der intime Ausdruck. Árnason begleitet Guðmundsdóttirs zurückhaltenden, schwebenden Gesang am Klavier. Die Musik ist aus ihren Improvisationen entstanden, die er als ‹abstrakt, aber auch als einfach und zugänglich› beschreibt. Manchmal greift er zu Geige oder Bratsche, teils im Zusammenspiel mit Streichern aus dem Reykjavík Orkestra und elektronischen Klängen. Minimalistisch ist der Stil, die Stimmung ruhig. Nichts stört die bewusste Reflexion, zu der die Musik die Hörer:innen einlädt.»
Experimentelles in der Stimme? Äh? ––– *** ––– Koppkratz, Schwernachdenk, Echtjezze? *** Nö.
In der Tat es stört bei dieser Musik rein gar nichts, außer alles. Der musikalische Atem gibt einem das Gefühl, etwas total Wichtigem und Weltensubstantiellem auf der Spur zu sein. Das Hingehauchte, das Superhyperzarte der stimmlichen Tongebung in einer tonarmen, manchmal im Hintergrund angerauschten Musik mag dem einen klingen, wie eine Seelenwanderung höchst verwundbarer Menschlichkeit. Oder aber schlicht aufdringlich dünne.
Die Platte wird sicher ihr Publikum finden. Soll sie ja auch, Geschäft ist Geschäft. Und warum sollte man das nicht auch mit einer Musik machen, die hier einem ‹Jargon der Innerlichkeit und Intimität› beziehungsweise, präziser und profaner einem einem ‹Jargon des Ökonomismus› anheimgefallen ist, wo man für jede Stimmung auch die angeblich passende Musik zugewiesen bekommt.
Zur Auswahl der Texte sagt Árnason die tiefsinningen Worte: «Wie alle guten Gedichte können auch diese Texte auf unterschiedliche Weise gedeutet werden.» Ach was. Bei Árnason halt leider nicht. Klar, wenn man durch das Wattenmeer geht, dann erwartet man auch keine Korallen, sondern eben Schlickwürmer. Wenn man um Mitternacht in Italien um die Häuser zieht, erwartet man keinen Sonnenstrahl, sondern einen Sternenhimmel vielleicht. Wenn man sich im Vakuum aufhält, erwartet man keine Schallwellen.
Pöm, Pöm, Pöm.
Álfheiður Erla Guðmundsdóttir / Viktor Orri Árnason: Poems [2023]
Deutsche Grammophon (VÖ: 10.11.2023 – Vinyl, CD, Digital)