Keine Sorge, wenn Sie den Namen des in Prag geborenen Komponisten Hans Seeling (1828–1862) bisher noch nie gehört haben. Er findet sich weder in einer der großen Enzyklopädien, noch ist er Kennern bekannt; rudimentäre biographische Hinweise finden sich nur im 33. Band des Biographischen Lexikons des Kaiserthums Oesterreich – aus dem Jahre 1877. Wer also war Hans Seeling, und warum haben uns seine Werke, von denen Karl-Andreas Kolly eine wirklich interessante Auswahl eingespielt hat, noch etwas zu sagen?
Zunächst geben sie fraglos einen wundervollen Einblick in die Musikwelt der Mitte des 19. Jahrhundert abseits von Schumann. Seeling orientierte sich in den beiden frühen «Poesien» an Chopin, bei den herausragenden Concert-Etüden op. 10 sind es dann Moscheles und Henselt, die anklingen; auch sonst denkt man hier und da an ähnliche Formulierungen von anderer Seite. Was aber die Stücke von Hans Seeling auszeichnet, ist eine pianistisch dankbare Handschrift und eine beim Hören durchaus mitreißende Erfindung, fernab von bloßer Salongemütlichkeit und Tasteneffekten. Zu dem positiven Eindruck trägt bei dieser Produktion nicht zuletzt der gar nicht so (ab)strahlende „Bürki“-Steinway aus dem Jahre 1901 bei. Der in Prag geborene Seeling hatte übrigens gesundheitlich zu kämpfen, tauschte bald das Jura-Studium gegen die Musik ein, wandte sich nach Italien und war später in Paris anzutreffen. Nach einem Album mit Musik von Felix Blumenfeld (ebenfalls bei MDG) hat Karl-Andreas Kolly hier also nachgelegt – und man fragt sich schon, was alles noch auf verstaubten Dachböden und in vergessenen Archiven auf Prüfung und Neubelebung wartet.
PS. Mal wieder etwas Ärger mit den Metadaten, die gerade bei solchen «Entdeckungen» so wichtig sind: Obwohl das offenbar originale Titelblatt der «Memoiren» op. 13 im Booklet faksimiliert wird, erscheint das Werk in der Trackliste und auf dem Backcover durchgehend als «op. 11» – eine Zahl, die aber bereits die «Schilflieder» (ebenfalls mit dem Titel als Faksimile) tragen.
Hans Seeling. Zwei Poesien op. 7; Fünf Schilflieder op. 11; Concert-Etüden op. 10 (Auswahl); Barcarole op. 9; Memoiren eines Künstlers op. 13
Karl-Andreas Kolly (Klavier)
MDG 904 2247-6 (2022)