21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Haydn / Paavo Järvi

Haydn / Paavo Järvi
Haydn / Paavo Järvi
Sieht man einmal von dem ambitionierten Projekt «Haydn2032» ab, so sind Einspielungen der Sinfonien Joseph Haydns nach wie vor rar. Um seine frühen Werke wird ein großer Bogen gemacht, bei den mittleren stehen nur die vom «Sturm und Drang» geprägten Partituren hoch im Kurs. Selbst die aus Paris bestellten Kompositionen (Nr. 82–87) stehen nach den insgesamt zwölf für und in London entstandenen Werken (Nr. 93–104) hinten an. Denn die «Londoner» Sinfonien stellen in mehrfacher Hinsicht einen Höhepunkt dar: in Haydns sinfonischem Schaffen (sie bilden dort ohnehin den Schlusspunkt), für das Renommee der Gattung im bürgerlichen Konzertsaal wie auch innerhalb der klassischen Trias Haydn-Mozart-Beethoven (auch wenn diese nur ein Konstrukt ist).

Apropos: Man hört Haydns Musik am besten, indem man zunächst einmal Beethoven vergisst. Denn Haydn bietet eine ganze Reihe von individuellen Ausdruckscharakteren und kompositorischen Möglichkeiten, darunter auch die des musikalischen Witzes, die schon recht bald im 19. Jahrhundert nicht mehr verstanden wurde (es musste in den großen Gattungen betont ernst und «arbeitsam» zugehen). Seine kompositorische Originalität steht daher ganz im Zentrum der mit diesem Album beginnenden Einspielung der «Londoner» Sinfonien – nach Beethoven, Schumann und Brahms das aktuelle Projekt der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Bemerkenswert ist dabei wieder, dass sich das Orchester zwar historisch informiert zeigt (auch beim Instrumentarium), ihm aber mit Paavo Järvi seit 2004 ein Dirigent vorsteht, der andere Klangkörper bisweilen auch anders musizieren lässt. Und so kommt aus Bremen ein frischer Haydn ohne aufgesetzte Affekte und Manierismen, wobei das Orchester seltsam entfernt klingt. Ohnehin darf man sich über die Lokalität nicht täuschen lassen: Die Fotos im Booklet stammen aus dem Wiener Konzerthaus, die Einspielung selbst entstand aber im Regentenbau Bad Kissingen.

Joseph Haydn. Sinfonie Nr. 101 D-Dur Hob. I:101 «Die Uhr»; Sinfonie Nr. 103 Es-Dur Hob. I:103 «Paukenwirbel»
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi

RCA 19658 80741 2 (2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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