Mit Cover und Artwork ist das Label weit über das Ende der Landebahn hinausgeschossen (um einmal im «Bild» zu bleiben). Während sich mancherorts Menschen an reale Kunstwerke heften, um das Klima zu retten, haben die Damen des Trio Boulanger die Parkposition erreicht. Mit dem schönen Titel «Wanderlust» vermag ich jedenfalls keine Turboprop-Maschine zu verbinden (in diesem Fall wohl sogar eine oft für Privatflüge verwendete Dornier 328-100). Dass man es mit dem Motiv ernst meint, zeigen im Booklet zwei weitere im Tageslauf aufgenommene Fotos. Doch auch bei der abgedruckten Trackliste zeigt sich die auffällige Optik in Form von Versalien als hinderlich – hier siegte wohl die Grafik über den Content mit der Folge, dass aus der üblichen Zählung «WoO» ein unverständliches «WOO» wurde. Apropos wandern: Während im Booklet die Werktitel alle in der jeweiligen Nationalsprache des Komponisten abgedruckt sind (ohne zu erwähnen, dass es sich bei den Stücke von de Falla und Brahms nur um eine Auswahl handelt), wird auf dem Backcover weitgehend alles, aber nicht durchgängig in englischer Sprache gebracht (und ohne alle Diakritika). Und wer es noch genauer wissen möchte: der für Dvořáks Klaviertrio angegebene tschechische Titel findet sich in dieser Form weder im Autograph noch im Erstdruck. Wo ist da bei der Redaktion die Flugsicherung geblieben?
Sieht man vor derartigen Klima- und Leselustkillern ab, so handelt es sich um eine Produktion, mit der die Formation wieder sehr schlüssige Interpretationen vorstellt. Bevorzugt wird dabei ein eher weicher als zupackender Grundgestus, was auch dem auf weit gespannte Bögen setzenden Erzählcharakter entspricht. Merkwürdig fremd und tonlos bleibt so aber im 5. Satz des Dumky-Trios das im forte geforderte pizzicato der Violine. Die Werkzusammenstellung jedenfalls bewährt sich – gerade im unmittelbaren Nebeneinander von Dvořák und den einzelnen Nummern von de Falla (in einer Bearbeitung von Jarkko Rihimäki). Ich selbst sehe solche Konzeptalben mit der Mischung aus Originalwerken und Bearbeitungen, vollständigen Kompositionen und bloßen Auszügen kritisch. Hier scheint aber die musikalische Bindung tatsächlich einmal über das Atmosphärische hinaus zu tragen.
Wanderlust.
Edvard Grieg. An den Frühling op. 43/6; Antonín Dvořák. Klaviertrio Nr. 4 e-Moll op. 90 «Dumky»; Manuel de Falla. Canciones populares españolas Nr. 1, 3, 4, 5, 7; Johannes Brahms. Ungarische Tänze Nr. 4, 5, 17; Edvard Grieg. Notturno op. 54/4; Frank Martin. Trio sur des Mélodies populaires Irlandaises (1925)
Boulanger Trio
Berlin Classics 0302676 BC (2021)