21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Géza Frid / Konzerte & Orchesterwerke

Géza Frid / Konzerte & Orchesterwerke
Géza Frid / Konzerte & Orchesterwerke
Nur selten einmal bleibe ich mit einer solchen Aufmerksamkeit und Spannung bei einem Album. Denn die 77 Minuten mit Musik von Géza Frid (1904–1989), der in den Niederlanden gerne als «ungarischer Holländer» bezeichnet wird, hat etwas, das vollkommen aus der Zeit gefallen ist: einen eigenen Stil, eine unverstellte ungarische Note und nichts, was belanglos, unmotiviert oder überdreht wirken würde. Frid, der In Budapest Klavier bei Bartók und Komposition bei Kodály studierte und von Zoltán Székely als dessen ständiger Begleiter in die Niederlande gelockt wurde, entging während des Weltkriegs den Deportationen, unternahm zahlreiche Konzertreisen, wirkte lange Jahre in Indonesien – und starb schließlich aufgrund einer haarsträubenden Nachlässigkeit des Personals in einer Pflegeeinrichtung. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Avantgarde schon seine Musik aus den Konzertsälen hinweggefegt. Frid selbst indes glaubte an die Qualität seiner Musik und daran, dass eines Tages die Zeit für sie kommen würde.

Von dieser Qualität bekommt man durch das Album einen wirklich starken und überzeugenden Eindruck. Frid knüpft musikalisch bei seinen Lehrmeistern an, greift aber subtiler auf die Idiome einer Heimat zurück. Form und Linien entwickelt er aus der Geste heraus – und genau das macht seine Kompositionen so erstaunlich frisch. Die beiden Doppelkonzerte für zwei Violinen (1952) und zwei Klaviere (1957) sind von prägnanter Gestalt, wobei die Solisten sich wechselseitig ergänzen (die beiden Violinen erscheinen vielfach wie ein Instrument mit acht Saiten). Erstaunlich frisch und engagiert wirken zudem die Aufnahmen von 1952 und 1962, während die drei Werke für Orchester 2001 eingespielt wurden – mit viel Klangkultur und Engagement. Ein Album, das wegen der Musik selbst das Zeug zu einem immerwährenden Geheimtipp hat. Wer hat den Mut, noch mehr von Géza Frid zu entdecken?

Géza Frid. Orchestral Music – Historical Recordings
Paradou. Fantaisie Symphonique op. 28 (1948); Konzert für zwei Violinen und Orchester op. 40 (1952); Études Symphoniques op. 47 (1954); Konzert für zwei Klaviere und Orchester op. 55 (1957); Rhythmical Studies for Chamber Orchestra op. 58 (1959)
Theo Olof (Violine), Herman Krebbers (Violine), Géza Frid (Klavier), Luctor Ponse (Klavier), Het Brabants Orkest, Radio Philharmonic Orchestra, Michel Tabachnik, Willem van Otterloo, Jean Fournet

Et’Cetera KTC 1633 (1952, 1962, 2001)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 4 in Michael Kubes HörBar #081 – Historische Einspielungen