21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Winterreise / Zender

Winterreise / Zender
Winterreise / Zender
Wer Schuberts Winterreise in der ihr eigenen Modernität weiterdenkt, wird an Hans Zenders «komponierter Interpretation» aus dem Jahre 1993 nicht vorbeikommen. Die Partitur stellt den seltenen Glücksfall einer kongenial empfundenen und ausgearbeiteten «Musik über Musik» dar, ein Werk der inneren wie äußeren Verdichtung, ein Werk, das auf seltsam irritierende Weise die schon von Schubert angelegten Klänge durch neue Farben und Spielweisen aus der Beengtheit des modernen Klaviers befreit (mit Blick auf ein für Schubert zeitgenössisches Instrument mit seinem viel reicheren Spektrum stellt sich die Frage freilich ein wenig anders). Hans Zender (1936–2019) selbst sah sich in der Rolle des Übersetzers, des Übermittlers, des Stellvertreters: «Das veränderte Stück selbst darf keinen Schaden leiden, es darf nicht verfälscht oder gegen seine natürliche Richtung gekehrt werden.»

Bei der vorliegenden Produktion mit Julian Prégardien und Mitgliedern der Deutschen Radio Philharmonie (2007 entstanden bei der Fusion des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken und dem SWR Rundfunkorchester Kaiserslautern) handelt es sich um einen Live-Mitschnitt vom 22. Januar 2016. Er muss sich beim Blick in den Katalog freilich der familiären Konkurrenz stellen, hat doch Christoph Prégardien den Zyklus bereits 1999 mit dem Klangforum Wien geradezu beispielhaft eingespielt (Kairos). Tatsächlich entsprechen sich Vater und Sohn vielfach und in erstaunlicher Weise in der Diktion und Herangehensweise an das Werk. Und so unterscheidet sich die Aufnahme mit Julian Prégardien vor allem durch den klaren und frischen Tenor, der auch den Protagonisten der Winterreise jünger, vielleicht sogar ein wenig emotionaler erscheinen lässt, wobei manche Wendung aber auch mit mehr stimmlicher Kühle und Abgeklärtheit vorstellbar wäre. Das Ensemble klingt im großen Sendesaal des Saarländischen Rundfunks erstaunlich kompakt und damit orchestral – ganz im Gegensatz zu der Wiener Version, die offen und direkt die Herbheit der Klänge ausspielt.

Franz Schubert. Winterreise (komponierte Interpretation von Hans Zender)
Julian Prégardien (Tenor), Deutsche Radio Philharmonie, Robert Reimer

Alpha ALP 425 (2016)

HörBar

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #054 – Winterreise (arrangiert)