21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Kellhuber: Contemporary Chamber Music

Kellhuber: Contemporary Chamber Music
Kellhuber: Contemporary Chamber Music

Man muss eigentlich nur die ersten 20 Sekunden Musik hören, dann hat man schon alles gehört, was man hören muss. Ich habe die Tonfolgen beim Spazierengehen wie ein Ohrwurm im Gehörgang. Die Musik des Pianisten ist so kondensiert und präzise, das wird auf der Stelle klar, wenn man dieses erste Stück der „Contemporary Chamber Music“ hört.

Chamber Music? Es ist ein Solo am Piano über 10 Strecken. Gewiss nicht alle so konzentiert und kondensiert wie bei Part I. Chamber Music ist es nicht so sehr, eher ein ganz tolerantes Spiel um Verästelungen in der musikalischen Improvisation, das sich als Spielform des Jazz  behauptet. Man wird sich schwer tun, diese Musik unter Virtuosität oder Zauberei zu fassen. Es ist im besten Sinne eben eine Schule der Ungeläufigkeit: Keine Phasendrescherei aus Übezeiten am Klavierkonzentrat. Es ist eine auch ungemütliche Musik, so sehr man sie mit gewisser Übung mitpfeifen könnte.

Kellhuber kennt sein Instrument schwer gut, weiß wo Cluster in Färbungen sich auflösen (Part V), Rhythmus zu Klang wird und wo Abweichungen variierter Motivpartikel umschlagen in neue Gehalte. Ja, aber wie? Man spürt den Fluss der improvisierten Dinge und spürt, wie Kellhuber diesen Bewegungen folgt, ihnen aber eben genauso nachgibt, wie er deren Miniaturimpulsen folgt – das ist aktuelles Bewusstsein von Freiheit. Das kann nicht immer auf dem gleichen Niveau erfolgen, das ist klar. Manche Bewegungen zerfließt unter den Fingern. Egal, was soll dieses Gerede. Einfach mal mitgehen beim Komponieren in geschliffener Kunst, im Samt funkelnd.

Mit seinem Blackbird Music-Label, mit dem er zusammen wohl jetzt sechs Platten auf den Weg gebracht hat, hat er sein treues Experimentierumfeld gefunden. Neugierig wartet man schon auf eine nächste Wendung. Und muss doch fürchten, dass er bald so skrupolös sein wird, dem fixen Medium nichts mehr anzuvertrauen. Denn, was ist schon eine CD oder ein Vinyl. Außer ein Angriff auf die Gegenwart.


Lorenz Kellhuber: Contemporary Chamber Music
Lorenz Kellhuber – piano solo

Blackbird Music

 

 

 

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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