21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Walter Braunfels / Gregor Bühl

Walter Braunfels / Gregor Bühl
Walter Braunfels / Gregor Bühl

Inzwischen dürfte Walter Braunfels kein Unbekannter mehr sein. Vielmehr ist es in den vergangenen beiden Jahrzehnten gelungen, Stück um Stück sein eigenständiges Œuvre wieder ins Bewusstsein zu rufen – auf der Opernbühne und im Konzertsaal, aber auch auf CD. Sensationell war in den 1990er Jahren noch die Einspielung der Oper Die Vögel im Rahmen der unglaublich anregenden Serie «Entartete Musik» (Decca). Derweil gehört seine Musik, wie auch die von vielen anderen, schon lange nicht mehr zur «terra incognita», sondern wartet gewissermaßen auf den nächsten Schritt – über das Engagement von einzelnen Häusern, Orchestern und Persönlichkeiten hinaus.

Wenn man von einer «Pionierarbeit» im zweiten Anlauf sprechen mag, so geht dieser publizistisch fraglos undankbare Pokal an das österreichische Label Capriccio, das ohne großes mediales Spektakel schon seit vielen Jahren für zahllose Raritäten, real gewordene Repertoire-Erweiterungen, zahllose Entdeckungen und herzerfrischende Wagnisse steht. Johannes Kernmayer folgt als sein eigener Chef einer wundervollen Philosophie, die heute auf den ersten Blick unzeitgemäß wirkt, aber dennoch von einem sichtlich messbaren Erfolg gekrönt wird. Sein feines Label macht nicht nur den Liebhabern großes Vergnügen. Und so fallen einem auch nur ganz wenige andere Unternehmen ein (Hand aufs Herz: eigentlich nur ein weiteres), dem solch ein umfassendes Braunfels-Projekt zuzutrauen wäre. Nach einer Großen Messe (op. 37), Klavierliedern und einem Don Juan wurde gleich in mehreren Alben unter der Stabführung von Gregor Bühl Sinfonisches eingespielt (darunter auch Konzertstücke und Orchesterlieder). Hier nun ist es eine abwechslungsreiche Folge, bestehend aus einem Vorspiel, einer für das Radio maßgeschneiderten Suite, einem instrumentalen Gesang und schließlich einer ausgewachsenen Serenade (nicht nur für Streicher!), die das Bild vielseitig vervollständigt. Das Sinfonieorchester des ORF hatte sich dafür an drei Tagen des Corona-Sommers 2020 bestens disponiert – vom spätromantischen, jedoch nie süffigen Strauss-Sound (op. 20, 1910) bis hin zur eher pragmatischen Instrumentation im Radio (Divertimento op. 42), die ich selbst gerne einmal in «historischer Aufführungspraxis» über Mittel- oder Langwelle hören würde.


Werner Braunfels: Vorspiel zu Don Gil von den grünen Hosen op. 35/2 (1921/23), Divertimento op. 42 für Radio-Orchester (1929), Ariels Gesang op. 18 (1910), Serenade Es-Dur op. 20 (1910)
ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Gregor Bühl

Capriccio C5429 (2020)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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