21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Anna Prohaska / Bach Redemption

Anna Prohaska / Bach Redemption
Anna Prohaska / Bach Redemption

Das Cover spricht Bände und dokumentiert zugleich die Zeit seiner Entstehung. Mehr allerdings auch nicht. Denn wer offenen Auges durch das reich bebilderte Booklet blättert, der kommt auf S. 18/19 aus dem Staunen nicht heraus: Das solistische Gesangsquartett, Bläser und Streicher sind bei der Aufnahmesitzung eng im Kreis versammelt. Da wird einem, ob der offenkundig vermittelten «zwei Wahrheiten», dann doch reichlich unwohl. Und was ist von einem Foto zu halten, auf dem Anna Prohaska nicht bloß im gruftigen Outfit abgelichtet ist, sondern mit aufgesetzten schwarzen Flügeln auch noch als Todesengel erscheint? Für mich keine Frage künstlerischer Freiheit (diese bleibt unberührt), sondern eine des Geschmacks – insbesondere angesichts der auch im beigefügten Essay thematisierten «Lage».

Dass hier einmal mehr Bach und seine Librettisten bemüht werden, darf nicht verwundern; wohl zu keiner anderen Zeit und von keinem anderen Komponisten wurden Krankheit und Tod so tiefgründig und entzeitlicht in Töne gefasst.

Freilich: das randvoll bespielte Album versammelt weder eine einzige vollständige Kantate noch findet sich auch nur ein Rezitativ (manche Nummern werden als instrumentales Arrangement dargeboten), dafür aber am Ende eine Jazz-Adaption von BWV 150/4, die offen endet und den Hörer fragend zurücklässt. Im Vordergrund stehen Anna Prohaska und ihr vielfach gelobter Sopran. Und dennoch vermögen mich beide nicht zu überzeugen: Zu pointiert manche Silben, zu aufgesetzt der rollende Konsonant, allzu manieriert in den Figuren und dann doch zu unklar in den Sechzehntelkoloraturen. Vor allem irritiert eine gerade unter dem Kopfhörer wahrnehmbare Bewegung am, vom und zum Mikrophon. Die aufnahmetechnisch zu verantwortende Präsenz geht leider auf Kosten der vorzüglich aufspielenden Berliner Lautten Compagney unter Wolfgang Katschner – durchgehend, aber besonders spürbar an exponierten Stellen («Ich habe genug», BWV 82).


Bach Redemption.

Johann Sebastian Bach: Arien & Chöre aus den Kantaten BWV 25, 31, 44, 57, 82a, 105, 115, 127, 135, 150, 179, 202, 208; Sinfonia aus BWV 150; Choral BWV 430 «Wenn mein Stündlein vorhanden ist»
Anna Prohaska (Sopran), Susanne Laugner (Alt), Christian Pohlens (Tenor), Karsten Müller (Bass), Lautten Compagney, Wolfgang Katschner

Alpha ALP 658 (2020)

 

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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