Was wäre die protestantische Kirchenmusik ohne Bachs Kantaten? Kaum mag man sich fragen, wer und womit für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte im Zweifel diese Position eingenommen hätte, wenn die Leipziger Ratsherren am Ende eine andere «dritte Wahl» getroffen hätten. Was verloren oder auch erst gar nicht geschrieben worden wäre, kann man sich bestens anhand von Bachs weltlichen Kantaten vorstellen – immerhin sind es stolze 20 an der Zahl, die sich erhalten haben.
Sie sind allerdings im Repertoire noch immer Raritäten, ein paar von ihnen haben dann aber doch als sogenannte Parodien überlebt, in weiten Teilen vor allem im Weihnachtsoratorium. Und geht man hier einmal zu den Ursprüngen, so leuchtet manch’ musikalischer Einfall noch weitaus sinnfälliger ein (etwa in der Geburtstagskantate «Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!» BWV 214). So aber ist man bequem geworden und schickt das Bekannte lieber alljährlich in eine endlos erscheinende Wiederholung, als einmal zu einer anderen Jahreszeit das Original anzupacken. Und den Thomaskantor mit italienischem Text singen («Non sa che sia dolore» BWV 209)? Undenkbar! Da mag man schon eher bürgerliche oder burleske Sujets akzeptieren als authentische Einblicke ins Private (Kaffee- und Bauern-Kantate).
Für Bach waren das alles Gelegenheitswerke, die mehr oder weniger rasch anzufertigen waren, aber darin hatte er bereits reichlich Methode und Erfahrung in seinen Kantaten-Jahrgängen entwickelt. Entscheidend aber ist: Selbst bei Geburtshuldigungen oder Musik zu Amtseinführungen blieb Bach sich und seinem kompositorischen Anspruch treu. Und so konnte dann auch später vieles nochmals für den kirchlichen Bedarf bleibend recycelt werden. Dass die weltlichen Kantaten (und man darf davon ausgehen, dass überhaupt nur das Wenigste überliefert ist) auch auf Tonträger deutlich unterrepräsentiert sind, muss daher nicht verwundern.
Konsequenterweise hat sich daher Masaaki Suzuki parallel zu seiner vielfach weltweit ausgezeichneten Einspielung der geistlichen Kantaten auch den weltlichen gewidmet. Vergleichbar ist bei den zunächst 2003 und 2005, dann kontinuierlich 2011 bis 2017 entstandenen Produktionen das durchgehend hohe Niveau. Die Stärken liegen vor allem dort, wo sich unmittelbar an den «gewohnten», quasi universellen Bach anknüpfen lässt, oder mit dem Text souverän wie augenzwinkernd gespielt wird wie in der Bauernkantate (hier dank der vorzüglichen Besetzung mit Mojca Erdmann und Dominik Wörner). Was macht es da schon, wenn die älteren Aufnahmen etwas entfernter, weniger direkt klingen und damit auch spannungsärmer. Diese wohlfeile Box sollte man sich keinesfalls entgehen lassen!
Johann Sebastian Bach: The Secular Cantatas
- «O holder Tag, erwünschte Zeit» BWV 210,
- «Schweiget Stille, plaudert nicht» (Kaffeekantate) BWV 211,
- Sinfonia F-Dur BWV 1046a/1,
- «Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd» (Jagdkantate) BWV 208,
- «Die Zeit, die Tag und Jahre macht» BWV 134a,
- «Durchlauchtster Leopold» (Serenata) BWV 173a,
- «Weichet nur, betrübte Schatten» (Hochzeitskantate) BWV 202,
- «Schwingt freudig euch empor» BWV 36c,
- Quodlibet (Fragment) BWV 524,
- «Zerreißet, zersprenget, zertrümmert die Gruft» (Dramma per musica) BWV 205,
- «Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten» (Dramma per musica) BWV 207,
- «Lasst uns sorgen, lasst uns wachen» ( (Herkules am Scheideweg – Dramma per musica) BWV 213,
- «Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten» (Dramma per musica) BWV 214,
- «Lass, Fürstin, lass noch einen Strahl» (Trauerode) BWV 198,
- «Schlage doch, gewünschte Stunde» BWV 53,
- «Tilge, Höchster, meine Sünden» (nach Giovanni Battista Pergolesi, Stabat Mater) BWV 1083,
- «Mer hahn en neue Oberkeet» (Bauernkantate) BWV 212,
- «Non sa che sia dolore» BWV 209,
- «Amore Traditore» BWV 203,
- «Schleicht, spielende Wellen, und murmelt gelinde» (Dramma per musica) BWV 206,
- «Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen» (Dramma per musica) BWV 215,
- «Geschwinde, ihr wirbelnden Winde» (Dramma per musica – Der Streit zwischen Phoebus und Pan) BWV 201,
- «Auf, schmetternde Töne der muntern Trompeten» (Dramma per musica) BWV 207a,
- «Angenehmes Wiederau, freue dich in deinen Auen» (Dramma per musica) BWV 30a,
- «Ich bin in mir vergnügt» BWV 204
Hana Blazikova (Sopran), Mojca Erdmann (Sopran), Sophie Junker (Sopran), Joanne Lunn (Sopran), Carolyn Sampson (Sopran), Hiroya Aoki (Counter), Robin Blaze (Counter), Demien Guillon (Counter), Charles Daniels (Tenor), Wolfram Lattke (Tenor), Katsuhiko Nakashia (Tenor), Nicholas Phan (Tenor), Makoto Sakurada (Tenor), Gerd Türk (Tenor), Christian Immler (Bariton), Roderick Williams (Bariton, Bass), Stephan Schreckenberger (Bass), Dominik Wörner (Bass), Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki
BIS-2491 (2003–1017)