Als Miles Davis 1960 nach Europa kam, hatte er endlich seine eigenen Musiker dabei – ein Zeichen, dass er nunmehr ein internationaler Star war. Doch eher missmutig absolvierte John Coltrane 1960 diese Tournee mit dem Trompeter und mürrisch klingt er bisweilen auch auf seinen letzten Auftritten als Sideman; danach trennten sich ihre Wege (sieht man von einem Studioalbum des Jahres 1961 ab). Ob er wütend ist, fragt ihn ein schwedischer Deejay in einem Interview, das sich als Zugabe auf „The Final Tour“, Vol. 6 der „Bootleg Series”, findet, das die Konzerte von Paris, Kopenhagen und Stockholm vereint. Nein, meint Trane, es klinge vielleicht so, weil er so viele Sachen auf einmal ausprobiere.
In der Tat experimentiert er hier auf offener Bühne; seine rasenden „sheets of sound“ und vor allem die dissonanten „multiphonics“ lassen europäische Hörer ratlos zurück, die ihren Unwillen schon mal laut bekunden. Der spannungsreiche Kontrast zwischen Essenz und Eloquenz, zwischen den cool geblasenen Trompetentönen und den ultrahocherhitzten Improvisationen Tranes, die einst den Reiz des Miles Davis Quintetts ausgemacht hatten, war zu groß geworden. Es ist als hörten wir hier nicht eine Band, sondern zwei, die zufällig mit den gleichen Musikern besetzt ist (Wynton Kelly, Paul Chambers, Jimmy Cobb). Doch auch das hat seine Reize. (Sony)
Miles Davis & John Coltrane: Bootleg Series 6: The Final Tour
Sony, B077ZCTV18, (4 CDs)