21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud

Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud
Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud

Wie Jeanne Moreau durch das nächtliche Paris irrt, den Geliebten sucht, der für sie zum Mörder wurde, wie sie hofft und bangt, Selbstgespräche führt, das hat sich ins kollektive Unbewusste eingegraben, das machte sie zum Star – doch vermutlich hätte man diese Szenen des Films „Fahrstuhl zum Schafott“ längst vergessen, hätte nicht Miles Davis dazu Musik geschaffen, die an die Nieren geht, auch wenn man die Bilder nicht sieht. Louis Malle, der Regisseur von „Ascenseur pour l’échafaud“ erinnert sich: „Was er machte, war einfach verblüffend. Er verwandelte den Film. Ich erinnere mich, wie er ohne Musik wirkte; als wir die Tonmischung fertig hatten und die Musik hinzufügten, schien der Film plötzlich brillant.“

Dabei war Davis’ Beitrag ursprünglich gar nicht vorgesehen. Er war nur eben in Paris, als der Regisseur mit der vorhandenen Filmmusik unzufrieden war. Etwas im eigentlichen Sinne zu komponieren, hatte der Trompeter auch keine Lust. Er ließ sich den Film vorführen, machte ein paar Notizen und improvisierte mit seinen Kollegen, die sich nur auf Intuition und Ohren verließen, in einer Nacht des Jahres 1957 den Soundtrack – ein Verfahren, das zur Zeit von Miles’ Geburt noch üblich war, aber mit dem Tonfilm ausgestorben war. Dabei war das nicht einmal sein reguläres Quintett, sondern eine französische Begleitmannschaft (Barney Wilen, René Urtreger, Pierre Michelot und – ein alter Gefährte – Kenny Clarke, der Vater des modernen Schlagzugspiels). Jazzgeschichtlich von Bedeutung: Die Antizipation des modalen Jazz, der sich erst 1959 durch Davis’ „Kind Of Blue“ durchsetzte. Es ist die wohl bekannteste Filmmusik der Jazzgeschichte; die jahrzehntelange Assoziation von Jazz als Begleitmusik für Leinwandverbrechen wurde damit auch festgeschrieben. Der ursprünglich eher kurze Soundtrack ist ein nicht vorstellungsbedürftiges Kultalbum, aber das Doppelalbum mit allen bis damals aufgenommen Tracks ein besonderer Leckerbissen. (Fontana)

Miles Davis: Ascenseur pour l’échafaud :::
Fontana – 1958

 

Autor

  • Marcus A. Woelfle

    Marcus Adrian Woelfle ist ein deutscher Jazz-Autor, Jazz-Journalist, Rundfunkmoderator und Jazz-Violinist. Woelfle, Sohn einer Italienerin und eines Bayern, studierte Literaturwissenschaften und wurde danach Journalist.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.