
Im Alltag ist es schon lange in Vergessenheit geraten, dass die letzte Woche des Kirchenjahres einst als «Stille Woche» bezeichnet wurde. Heute, am Mittwoch, ist zudem «Buß- und Bettag». Das war einmal ein bundeseinheitlicher Feiertag, der 1995 für die Arbeitgeber und die Pflegeversicherung (in dieser Reihenfolge) abgeschafft wurde. Zugleich kann man darin ein Zeichen der um sich greifenden Säkularisierung sehen. Beten und Büßen werden eben immer unzeitgemäßer. Das ändert jedoch nichts an der Dramaturgie des Jahres: Erst muss es dunkel werden (womit nicht der «Black Friday» gemeint ist), bevor im Advent Woche um Woche die Lichter aufgesteckt werden. Spekulatius gibt es allerdings schon seit September im Regal.
Um der Stille wenigstens ein wenig gerecht zu werden, stellt die Hörbar in dieser Woche Alben vor, deren s/w-Cover sich aus dem lauten Rufen der Kommerzialisierung herausnehmen. So auch einmal mehr eine vorzügliche Produktion von ECM – diesmal mit Kammermusik von Tigran Mansurian (* 1939), die geheimnisvolle Töne anschlägt und in jedem Moment erreichbar ist. Vor allem fasziniert der einzigartige Ton, den Kim Kashkashian auf ihrer Viola erzeugt. Ein Glücksfall, denn bei ihr geht mit der Interpretation jede einzelne Note unter die Haut. Mit einem langen, einsamen Solo durchzieht sie das Streichsextett und eröffnet damit die meditative Qualität der melancholischen Musik Mansurians.
Con anima – Tigran Mansurian
- Agnus Dei (2006) für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier
- Sonata da Chiesa (2015) für Viola und Klavier
- «Con anima» (2006/07) für Streichsextett
- Streichtrio (2008); Streichquartett Nr. 3 (1993)
- Die Tänzerin (2014) für Violine und Viola
Boris Allakhverdyan (Klarinette), Movses Pogossian (Violine), Varty Manouelian (Violine), Kim Kashkashian (Viola), Teng Li (Viola), Michael Kaufman (Violoncello), Karen Ouzounian (Violoncello), Tatevik Mokatsian (Klavier), Steven Vanhauwaert (Klavier)
ECM 481 9522 (2019)








