7. Juni 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Jakub Józef Orlinski

Jakub Józef Orlinski
Jakub Józef Orlinski
Dass ein Sängerporträt ganz verschiedene Perspektiven umfassen kann, zeigt auch dieses Album mit dem Countertenor Jakub Józef Orlinski, das tief in das Repertoire des 17. Jahrhunderts eintaucht. Anders als bei vielen anderen Produktionen ähnlicher Art kommt im Booklet hier der kuratierende Musikwissenschaftler zu Wort. Er erläutert die Idee hinter der Einspielung und gibt Informationen und Hinweise zu den einzelnen Stücken. Mir ist das sehr sympathisch. Denn was wären die besten Sänger:innen und Musiker:innen ohne die Fachexpertise und was wären Wissenschaftler:innen und Philolog:innen ohne die klangliche Realisierung der Fundstücke? Yannis François hat jedenfalls nicht nur tief in alten Drucken und Manuskripten gegraben (daher auch der Titel Beyond), sondern auch bewusst Beispiele aus ganz unterschiedlichen Formen und Gattungen ausgewählt.

Entsprechend bunt und abwechslungsreich ist die Einspielung mit Jakub Józef Orlinski und dem Ensemble Il Pomo d’Oro geworden. Bunt mit einem prächtigen und immer wieder anders besetzten Basso continuo, dass einem das Herz öffnet, und abwechslungsreich, weil ganz unterschiedliche Arten von Musik erklingen: aus Oper, Kantate und Serenade, aber auch Sonata, Sinfonia und Concerto (natürlich noch nicht in dem viel später von Torelli geprägten Ablauf). Es ist diese Vielfalt, die ein wunderbares Bild aus einem Jahrhundert bzw. einer Jahrhunderthälfte gibt, in der noch lange nichts feststand, sondern in der nach vielen Seiten experimentiert wurde. Dabei zeigt sich auch in der Ausführung, wie sehr ein stilsicheres Improvisieren die blanken Noten erst zum Leben erweckt – und dazu muss man selbst keine Noten vorliegen haben, um dies wahrzunehmen. Jakub Józef Orlinski nimmt sich den unterschiedlichen Aufgaben mit Hingabe an, spielt sich nicht in den Vordergrund, sondern wirkt fast kammermusikalisch – mit Ernst wie auch mit Humor. So öffnet er mit seiner charakteristischen und virtuosen Stimme das Tor zu einer Welt voller Möglichkeiten, die für viele wohl unbekannt ist. Und das Ensemble Il Pomo d’Oro gewährt einen klingenden Blick in den zweiten Teil (1619) des Syntagma musicum von Michael Praetorius, um eine Vorstellung von den vielfältigen Instrumentenfamilien jener Zeit zu bekommen.

Beyond
Claudio Monteverdi. «E pur io torno» aus: L’Incoronazione di Poppea; «Voglio di vita uscir» SV 337; Johannes Hieronymus Kapsberger. aus dem Libro quarto d’intavolatura di Chitarone; Giulio Caccini. «Amarilli, mia bella», aus: Le nuove musiche; Girolamo Frescobaldi. «Così mi disprezzate?», aus: Primo libro d’arie musicali per cantarsi; Barbara Strozzi. L’Amante consolato, aus: Cantate, ariette e duetti op. 2; Francesco Cavalli. «Incomprensibil nume» aus: Pompeo Magno; Johann Caspar Kerll. Sonate für 2 Violinen und Basso continuo in F; Claudio Saracini. «Udite, lagrimosi spirti d’Averno», aus: Le seconde musiche; Carlo Pallavicino. Sinfonia aus: Demetrio; Pietro Paolo Cappellini. Tarantella «Chi vuol ch’il cor gioisca», aus: Raccolta di Ariette; Giovanni Cesare Netti. «Misero core», «Datti pace, Berillo» / «Sí, sí, si sciolga, sí», «Ah, che miei voi non siete», aus: Berillo; «Dolcissime catene», aus: La moglie del fratello; Antonio Sartorio. «La certezza di sua fede» aus: Antonino e Pompeiano; Giovanni Cesare Netti. «Quanto più la donna invecchia», aus: L’Adamiro; Biagio Marini. La vecchia innamorata, aus: Scherzi & canzonette op. 5; Giovanni Cesare Netti. «Son vecchia, patienza» aus: L’Adamiro; Ercole Bernabei. «A battaglia, su, mio core» aus: Il segreto d’amore in petto del Savio; Adam Jarzebski. Tamburetta aus: Concerto a 3 voci & continuo; Giovanni Battista Vitali. «Donde avvien che tutt’ ebro de vera giora» (Kantate); Carlo Francesco Pollarolo. «Come allor che piu densi», «Son tanto avvezzo a piangere» aus: La Costanza gelosa negl’amori di Cefalo e Procri; Sebastiano Moratelli. «Lungi dai nostri cor» aus: La Faretra smarrita
Jakub Józef Orlinski (Countertenor), Il Pomo d’Oro

Erato 5054197726453 (2022)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 5 von 5 in Michael Kubes HörBar #157 – Stimmen

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