Ernst BachrichFast scheint es, als sei Ernst Bachrich (1892-1942) nur eine Randnotiz der Musikgeschichte. Doch der Schein trügt, wenn man sich auf Spurensuche begibt, Informationen, Dokumente und Kompositionen zusammenträgt. Matthew Vest hat dies zunächst unabhängig von diesem Album getan – die Produktion stellt eher die Verklanglichung seiner umfangreichen Recherchen und Forschungsergebnisse dar: Nach einem ordentlichen Jura-Studium fand Bachrich bald Anschluss an den Schönberg-Kreis, unterstützte organisatorisch, spielte aber auch als hervorragender Pianist und Korrepetitor eine Rolle – sowohl im Verein für Musikalische Privataufführungen, also auch bei der verlegerischen Vorbereitung der Uraufführung von Alban Bergs Wozzeck. In Düsseldorf und Duisburg war er als Kapellmeister angestellt, bereits 1932 kehrte er nach Österreich zurück und ließ bis 1938 (auch als Zeichen des künstlerischen Widerstands), obwohl inzwischen verboten, eigene Kompositionen privat drucken.
Mit der Verhaftung und der Ermordung im Konzentrationslager Majdanek wurde seinem Wirken ein Ende gesetzt. Erst mehr als 80 Jahre später gelangt sein Schaffen wieder ans Tageslicht. Von den in den gedruckten Ausgaben (einige erschienen bei Doblinger) hat sich teilweise nur ein einziges (!) Exemplar erhalten, etwa im Nachlass von Anton Webern. Insofern handelt es sich bei dem Album um eine umfassende Schau zwischen dem Opus 1 (1917) und einem Lied aus den Jahren 1933/37 – alles in Ersteinspielungen. Wie bei Alban Berg ist auch bei Ernst Bachrich die Klaviersonate nur mit einem Kopfsatz einsätzig angelegt, die als op. 2 folgende Violinsonate weißt dann wie üblich drei Sätze auf. Hier wie auch in den Liedern setzt sich ein satztechnisch strenger, aus dem 19. Jahrhundert kommender, freitonaler Expressionismus in großer Gesten und Linien fort. Die Interpretationen sind gründlich vorbereitet, so dass die Einspielung gleich zum Ausdruck vordringt. Ein Album als Mahnmal gegen das Vergessen.
Ernst Bachrich. Klaviersonate op. 1 (1917); Drei Gesänge op. 3 (1917/25); Sonate für Violine und Klavier op. 2 (1925); Psalm op. 10/1 (1933/34); Osterblüte op. 10/2; Portraits. Drei Klavierstücke op. 6 (1927); Sonnenhymne op. 11 (1933/34); Prélude (1929); L’angelus (1933/37); Die frühen Verse op. 15 (1935)
Lola Rubio (Violine), Anna Christin Sayn (Sopran), Alexander Breitenbach (Klavier)
EDA 044 (2018/19)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.