4. März 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

CPE Bach / Tom Beghin

CPE Bach / Tom Beghin
CPE Bach / Tom Beghin
Als Carl Philipp Emanuel Bach 1760 in Berlin seine Sonaten «avec des reprises variées» (mit variierten Wiederholungen) veröffentlichte, betrat er damit Neuland – aber nur, indem er exemplarisch ausformulierte, was er von einem geübten und geschulten Clavieristen erwartete. In einer Zeit, in der es noch selbstverständlich war, in den rahmenden Ecksätzen einer Sonate sowohl den ersten Teil (Exposition) als auch den zweiten Teil (Durchführung und Reprise) zu wiederholen, sollten diese Wiederholungen nicht wortwörtlich erfolgen, sondern angereichert werden – eine aufführungspraktische Notwendigkeit, die aber wohl schon von den Zeitgenossen aus Mangel an Inspiration oder aus Angst vor der gewährten, wenn nicht gar geforderten Freiheit oft unterlassen wurde. Wie man solche Wiederholungen (= Reprisen) verändern (= variieren) kann, hat CPE Bach mit seinen in Kupfer gestochenen Sonaten, in denen alle wirklich Wiederholungen ausgeschrieben sind, beispielhaft aufgezeigt.

Auch heute noch haben sich Interpreten dieser Aufgabe zu stellen – und lösen sie oft genug nicht ein, weil der zur Marke gewordene Begriff «Urtext» missverstanden wird als eine am Instrument unmittelbar zu erfüllende Textautorität, wo doch gerade seine Verlebendigung gefordert ist. Aus dieser Persektive macht die Einspielung der Sonaten Wq. 50 durch Tom Beghin allergrößte Freude. Verwendet wurde der Nachbau eines um 1760 in Sachsen gefertigten Clavichords, die Temperatur erfolgte nach «Neidhardt» bei 407 Hz. Selten hört man derartige Musik des Übergangs zwischen zwei Epochen so kenntnisreich, souverän und zugleich anregend vorgetragen – nämlich als musikalische Rede und Unterhaltung. Denn Tom Beghin interpretiert mit freier rhetorischer Geste und lässt dadurch die Noten aus sich selbst sprechen. Dass CPE Bach mit der Druckausgabe der Sonaten noch lange nicht mit dem «Variieren» des Verlaufs fertig war, zeigen seine teilweise umfänglichen Eintragungen in ein Handexemplar. Diese wiederum beispielhafte aufführungspraktische Fassung hat Beghin auf der zweiten CD dieses Doppelalbums mit allen anderen Sätzen noch einmal vollständig eingespielt – und im Booklet umfänglich reflektiert und erläutert. Ein Hörgenuss ohne Ende…

Carl Philipp Emanuel Bach. Sechs Sonaten mit veränderten Reprisen Wq. 50
Tom Beghin

Evil Penguin EPRC 0066 (2024)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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