13. Februar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Winterreise / Florian Götz

Winterreise / Florian Götz
Winterreise / Florian Götz
Eine Reise im Winter ist immer auch eine Reise durch eine Landschaft, die sich in karge Farben hüllt. Oft genug handelt es sich dabei um eine feine Abstufung von Grautönen, auf jeden Fall dominieren in den dunklen Monaten des Jahres weniger intensive Töne – es sei denn, man hat das Glück, an einem wirklich klaren Tag weit über den eigentlichen Horizont hinausschauen zu können. Eine Reise durch die kahle Natur unternimmt auch Franz Schubert mit seinem Liederzyklus Winterreise, dessen Fahrt in die buchstäbliche Erstarrung in den letzten Jahren in zahlreichen Arrangements immer wieder neu interpretiert wurde. Hier ist es eine neue Bearbeitung von Eduard Wesly, der den originalen Part des Klaviers (pardon: auf dem Backcover steht korrekt: Pianoforte) für Englischhorn und Streichtrio arrangiert hat. Ein wirklich interessantes und hörenswertes Unterfangen, die Lieder mit dem dunklen Klang dieses seltenen Holzblasinstruments anzureichern – selbst wenn Wagner (Tristan) und Dvořák (9.) in der Vorstellung mitschwingen.

Obwohl das Arrangement mit Fingerspitzengefühl jede stereotype Wendung vermeidet, ist es doch unvermeidlich, dass sich das Zentrum des Zyklus verschiebt. Auch wenn das Englischhorn nicht in jedem Lied präsent ist, entsteht doch bald der Eindruck, es kommentiere die Gedanken des Protagonisten wie ein auskomponiertes «alter ego». So erstaunlich es ist, dass Schuberts Original diess zulässt, so enttäuschend ist es, dass diese Schicht nun so offensichtlich wird und der Zyklus etwas von seinem «Geheimnis» preiszugeben scheint. Hinzu kommt, dass trotz aller Abwechslung der spezifische Ton am Ende etwas verbraucht klingt. Das spricht weder gegen das Arrangement an sich, noch gegen die Interpreten – nur gibt es neben vielen wunderbaren Sätzen nicht weniger Passagen, die durch ihre Leere sprechen (auch wenn die Klavierfiguren nicht 1:1 übertragen werden). Auch dem Grundmann-Quartett ist da kaum ein Vorwurf zu machen – und schon gar nicht Florian Götz, der in sehr intimer Diktion über die inneren Empfindungen des Enttäuschten Auskunft gibt – auch mit gebrochener Stimme, mit fatal-optimistischer Perspektive, bis hin zur unterdrückten Wut. Zwischen den beiden «Abteilungen» ist als Intermezzo das Andantino aus der späten A-Dur-Sonate gesetzt. Eine gelungene Idee (zumal in diesem Tonfall), die allerdings als Ganzes hinter dem ausgewogenen Klang des Originals abfällt. Eine Produktion also, die vieles deutlich macht, aber auch Fragen aufwirft.

Franz Schubert. Winterreise (arr. Eduard Wesly); Andantino aus der Sonate A-Dur D 959 (arr. Eduard Wesly)
Florian Götz (Bariton), Grundmann-Quartett

Genuin GEN 23819 (2022)

HörBarEstonian Premieres / Paavo Järvi >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 1 von 3 in Michael Kubes HörBar #145 – Bäume im Winter

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden..