«Zeitgenössisch» ist sie freilich nur im übertragenen Sinne, stilistisch steht sie zwischen den Welten – und ergreift musikalisch Partei. Schon die bohrenden Basslinien des ersten Satzes (Adagio) erinnern an Schostakowitsch, und wirft man einen Blick auf die Biographie von Xilin Wang, wird klar, dass er wohl genau weiß, wovon er spricht: Geschrieben wurde das Werk unter dem Eindruck des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Juni 1989), gewidmet ist es «den Menschen mit hohen Idealen, die überall auf der Welt für Demokratie und Freiheit eintreten.» Und mehr noch bekennt Xilin Wang: «Ich möchte nicht nur für mich selbst schreiben, sondern die lange Geschichte und die vielen Seiten des Menschlichen schildern. Für die vielen Menschen, die dabei umgekommen sind, komponiere ich.» Es ist tatsächlich eine Komposition für die Gegenwart, und sie drückt dies auch aus: tragisch, bedrohlich, alarmierend, wuchtig, am Ende ohne Ausweg, ohne Erlösung. – Der Live-Mitschnitt aus Beijing von 2018 klingt voll und satt, das von Emmanuel Siffert geleitete China National Symphony Orchestra zeigt sich in Bestform für ein Werk, das seine Botschaft äußern durfte. Auf den mitdokumentierten Schlussapplaus hätte ich allerdings aus reiner Hör-Perspektive gerne verzichtet.
Xilin Wang. Sinfonie Nr. 3 op. 26 (1990)
China National Symphony Orchestra, Emmanuel Siffert
Wergo 7392-2 (2018)