So kann man ein neues Jahr beginnen! Nicht (nur) mit einem Blick zurück, sondern auch mit einem Blick nach vorn, wie in diesem Doppelalbum und den versammelten 72 Préludes. Dabei bedeutet der Blick nach vorne nicht die Verleugnung des Gewesenen und Gehörten. Das macht für mich Mao Fujita als Jungstar am Klavier auf wirklich überraschende und faszinierende Weise deutlich. Chopin wird nicht romantisch überhöht, sondern von Bachs Wohltemperiertem Klavier aus weiter gedacht. Die vielfältigen musikalischen Emotionen erscheinen in präziser Klarheit, ebenso gezügelt wie befreit. Ein Glücksfall für diesen so oft gespielten Zyklus. Ähnliches gilt für die Préludes op. 11 von Alexander Skrjabin, die hier auf ganz eigene Weise mit verhaltener Poesie zum Leuchten gebracht werden.
Der eine mag von jugendlicher Frische sprechen, der andere vermisst vielleicht noch den reifen Blick auf das eine oder andere Stück. Für mich überwiegt die unmittelbare Nähe zu jedem einzelnen Satz, die sich aus dem mal perlenden, mal nachdenklichen Spiel wie von selbst ergibt und die allzu große Gesten beiseite lässt. Das entspricht auch dem unerhörten Zyklus von Akio Yashiro (1929–1976) aus dem Jahr 1945 – ein Meisterwerk dieser Gattung, komponiert im Alter von 15 Jahren und von Yashiro selbst später als eines seiner besten Werke bezeichnet. Es ist die kleine Form, die hier zur Konzentration führt, in der musikalische Erfahrungen unmittelbar reflektiert und Experimente notiert werden. – Der Steinway-Flügel klingt sehr direkt und erstaunlich warm intoniert. Mao Fujita legt großen Wert auf den sorgfältigen Umgang mit dem Pedal.
72 Preludes
Frédéric Chopin. Préludes Nr. 1-24;
Alexander Scriabin. Préludes op. 11 Nr. 1-24;
Akio Yashiro. Préludes Nr. 1-24
Mao Fujita (Klavier)
Sony 19802825762 (2023/24)
- 72 Preludes / Mao Fujita
- Franz Schubert / Paul Lewis