Eine Sammlung von zwölf Klavierstücken, die man nicht ohne weiteres mit Franz Liszt in Verbindung bringen würde. Dabei hat es sich der Tasten-Virtuose mit der Komposition von Weihnachtsbaum nicht gerade leicht gemacht – zwischen 1873/74 und 1882 entstanden insgesamt vier Fassungen für zwei Hände und weitere für zwei Klaviere. Nicht alle seine Werke haben so viel Aufmerksamkeit und Vielgestaltigkeit erfahren. Im Erstdruck mit dem Hinweis «zumeist leichter Spielart» versehen, erfordern die Stücke schon eine gewisse Souveränität im gestaltenden Spiel; sonst drohen einige der bearbeiteten Weihnachtsweisen (In dulci jubilo, Adeste fideles) «durchzurauschen» und die letzten, eher reflektierenden Stücke in der Aussage zu «hängen». Gewidmet ist die kleine Sammlung Liszts Enkelin Daniela von Bülow (1860–1940), die ihn 1881/82 nach Rom begleitete, wo auch die Uraufführung im privaten Rahmen abgehalten wurde.
Auf den ersten Blick mag man die Sammlung ein wenig unterschätzen, vielleicht auch, weil sie an ein kalendarisch so exponiertes Fest gebunden ist. Musikalisch und kulturgeschichtlich spricht sie jedoch Bände. Schon der Titel der Komposition wie auch das graphisch gestaltete Titelblatt der Erstausgabe machen deutlich, dass zu dieser Zeit die Weihnachtstanne in der guten Stube schon heimisch geworden war. Die verwendeten Melodien verweisen auf das damals gesungene Repertoire, das Werk selbst auf den damals noch ganz individuell gestalteten klanglichen Rahmen der Festtage. Mark Viner, der bereits mehrere Alben für Piano Classics eingespielt hat, nahm die Noten nicht auf die leichte Schulter, sondern ging mit einer exzellent vorbereiteten, nicht zu ernsten, aber auch nicht zu «leichten», virtuos fließenden und doch nicht bloß brillanten Interpretation für genau einen Tag vor die Mikrophone. Neben einem einzelnen Weihnachtslied sind noch zwei Sätze aus dem Oratorium Christus beigefügt – nicht als Supplement, denn ihre Spielzeit reicht an die der Sammlung heran. Ein Album, das wirklich unter den Baum und in den Player gehört.
Franz Liszt. Weihnachtsbaum (S 186); Weihnachtslied. Christus ist geboren (S 502); Zwei Orchestersätze aus dem Oratorium «Christus» (Hirtengesang an der Krippe, Marsch «Die heiligen drei Könige») (S. 498b)
Mark Viner (Klavier)
Piano Classics PCL 10315 (2024)