18. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Liszt / Mark Viner

Liszt / Mark Viner
Liszt / Mark Viner
Eine Sammlung von zwölf Klavierstücken, die man nicht ohne weiteres mit Franz Liszt in Verbindung bringt. Dabei hat es sich der Tasten-Virtuose mit der Komposition von Weihnachtsbaum nicht gerade leicht gemacht – zwischen 1873/74 und 1882 entstanden insgesamt vier Fassungen für zwei Hände und weitere für zwei Klaviere. Nicht alle seiner Werke haben diese Aufmerksamkeit und Vielgestaltigkeit erfahren. Im Erstdruck mit dem Hinweise «zumeist leichter Spielart» versehen, erfordern die Stücke schon eine gewisse Souveränität im gestaltenden Spiel. Sonst drohen einige der bearbeiteten Weihnachtsweisen (In dulci jubilo, Adeste fideles) «durchrauschen», während die letzten, eher reflektierenden Stücke in der Aussage «hängen». Gewidmet ist die kleine Sammlung der eigenen Enkelin Daniela von Bülow (1860–1940), die Liszt 1881/82 nach Rom begleitete, wo auch die Uraufführung im privaten Rahmen abgehalten wurde.

Auf den ersten Blick mag man die Sammlung ein wenig unterschätzen, vielleicht auch, weil sie an ein so exponiertes Fest im Kalender gebunden ist. Musikalisch und kulturgeschichtlich spricht sie jedoch Bände. Schon der Titel der Komposition wie auch das graphisch gestaltete Titelblatt der Erstausgabe machen deutlich, dass zu dieser Zeit der Weihnachtsbaum in den guten Stuben selbstverständlich geworden war. Die verwendeten Melodien verweisen auf das gesungene Repertoire, das Werk selbst auf den damals noch ganz individuell gestalteten klanglichen Rahmen der Festtage. Mark Viner, der bereits mehrere Alben für Piano Classics eingespielt hat, nimmt die Noten nicht auf die leichte Schulter, sondern ging mit einer exzellent vorbereiteten, nicht zu ernsten, aber auch nicht zu leichten, virtuos fließenden, und doch nicht bloß brillanten Interpretation für genau einen Tag vor die Mikrophone. Neben einem einzelnen Weihnachtslied sind noch zwei Sätze aus dem Oratorium Christus beigefügt – nicht als Supplement, denn ihre Spielzeit reicht an die der Sammlung heran. Ein Album, das wirklich unter den Baum und in den Player gehört.

Franz Liszt. Weihnachtsbaum (S 186); Weihnachtslied. Christus ist geboren (S 502); Zwei Orchestersätze aus dem Oratorium «Christus» (Hirtengesang an der Krippe, Marsch «Die heiligen drei Könige») (S. 498b)
Mark Viner (Klavier)

Piano Classics PCL 10315 (2024)

HörBar<< Bach & Händel / AKAMUS

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 2 von 2 in Michael Kubes HörBar #141 – Weihnachten

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.