18. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Bach & Händel / AKAMUS

Bach & Händel / AKAMUS
Bach & Händel / AKAMUS
Nicht wahr? Es gibt genügend musikalische Laien, die (ich verwette eine Zwanni) eine Musik aus der Epoche des Barock für ein Stück «Kirchenmusik« halten. Es muss der Ernst des Kontrapunkts und der geordnete Generalbass sein (auch in einer Sonate für Flûte à bec), die dazu verleiten. Man kann das wohl auch eine überzeitliche erhabene Universalität dieser Stilmerkmale sehen, die auch unerfahrene Hörer:innen anspricht. Warum sonst sollte Bachs Weihnachtsoratorium immer noch in den Weihnachts-Charts stehen? Die Hörbar wird in dieser Woche jedenfalls einmal ganz ohne diese «WO» auskommen und den Blick auf ganz andere Produktionen richten. Den Anfang machen «alte Bekannte» – nämlich der RIAS Kammerchor und sein Chefdirigent Justin Doyle sowie der Akademie für Alte Musik Berlin.

Bach ist auch dabei, allerdings mit dem Magnificat BWV 243 in der ersten Fassung in Es-Dur und mit Interpolierung von Weihnachtschorälen. Das Erstaunliche an dieser Aufnahme: Sie klingt so, wie ich es erwartet habe. Und zwar interpretatorisch wie auch akustisch. Man könnte sich also entspannt zurücklehnen. Aber was sagt mir das? Kein überraschendes Element, keine individuelle Leistung, die das herausragende Niveau nochmals übertrifft? Will man so auf kommendes warten und genießen? Schwierige Fragen – zumal hier das Magnificat mit dem Utrechter Te Deum von Georg Friedrich Händel gekoppelt wurde. Das nämlich ist ein politisch motiviertes und beauftragtes Repräsentationswerk, wie eigentlich jedes Te Deum. Es steht am Ende des Spanischen Erbfolgekrieges, als sich Großbritannien (wie alle anderen auch) unter den Siegern wähnte. Kein Wort von den vielen namenlosen Opfern für Staat und Krone, die ihren Kopf für Macht und Einfluss hinhielten, wo es zunächst nichts zu verteidigen gab. Beide Werke auf einem Album – ein Spannungsverhältnis, das auch ein wenig über die Unvereinbarkeit zweier Meister aussagt, die sich nie persönlich begegnet sind und in völlig verschiedenen Welten unterwegs waren. Die Werkeinführung im Booklet gibt dazu ein paar Hinweise, die es abstrahieren und weiterdenken gilt. Ein interessantes Album.

Johann Sebastian Bach. Magnificat Es-Dur BWV 243a; Georg Friedrich Händel. Utrechter Te Deum D-Dur HWV 278
Nuria Rial (Sopran), Marie-Sophie Pollak (Sopran), Alex Potter (Alt), Kieran Carrel (Tenor), Roderick Williams (Bass), RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Justin Doyle

harmonia mundi HMM 902730 (2024)

HörBarLiszt / Mark Viner >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 1 von 2 in Michael Kubes HörBar #141 – Weihnachten

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.