21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Kerim König – Grounded

Kerim König – Grounded
Kerim König – Grounded

Wo steckt man diese Musik eigentlich genau hin? Die Informationen auf der Website des Komponisten sagen: Psychoakustik. Verdächtig das. Will man das? Eine Musik, die mit «Tricks» einen so beeinflusst, dass man nicht weiß, wie einem geschieht. Im begleitenden Text besteht man darauf, dass es sich dabei nicht um fiese Machenschaften handelt, sondern?

«Grounded öffnet eine Tür. Hinter dieser Tür erstreckt sich ein Safe Space, der in unruhigen Zeiten Zuflucht gewährt. Man kann sich in dieser Musik ausstrecken, den Kopf ausschalten und sie um sich herum passieren lassen. … Die Herausforderung bestand für ihn diesmal darin, das fühlende Ohr von allen übrigen Herausforderungen zu befreien.»

Man kann sagen, dass dies dem Komponisten tatsächlich gelungen ist. Herausfordernd ist bei diesem Musikgewabere und -geschwalle relativ wenig. Sie lullt einen ein. Und das kann man praktisch finden oder anmaßend. Ich bin da unschlüssig – weil, was wären denn die «übrigen» Herausforderungen für ein fühlendes Ohr. Denn in der Tat sind die Mittel, die König hier in Sachen Klang anwendet, durchaus kunstvoll und zugleich absolut ökonomisch eingesetzt. Kleine Finessen finden sich ebenso darin wie eben dafür auch das reinklarweiß Seichte, das auf Dauer zu hören dann unter Umständen wieder zur Herausforderung werden kann.

Ob allerdings der Waschzettel zur Platte am Ende nicht doch etwas dick aufträgt:

«Auf Grounded erreicht er ein unitäres Level der Unvergleichlichkeit, die ein ureigenes Referenzsystem schafft.»

Holla! Oder:

«Auf seinem bisherigen Opus Magnum Grounded gelingt Kerim König nicht weniger als das Paradoxon der vehementen Geborgenheit.»

Achtung! Keine Stolperstufe, Vorsicht – es gibt hier nichts zu sehen, äh, hören … oder wie?

Für Paradoxien bin ich als Hörender eigentlich sehr zu haben. Wenn im «Monologue» quasi ein Klavierstück aus Versatzstücken traditioneller Klaviergeschichtsmusik zu einer barockromantischen Bagatelle zusammengewürfelt wird, oder danach in «On a Journey» die Musik ein gepulstes Klangmeer herstellt, auf dem dann manch ein Schiffchen der Betroffenheit in lauer Flaute treibt. So sind die 10 Stücke immerhin genügend verschieden auch im Ergebnis und ihrer Faktur, die nicht ganz ohne Klippen ist – zum Beispiel in «Ikigai». Die andere Herausforderung wäre nämlich, die Hörenden nicht zu unterfordern, was das gewünschte Ziel nämlich, paradox auch dies genug, verfehlte und statt «vehementer Geborgenheit» zu bloßer Verlorenheit führen würde, was im Schlusstück durch einen eben dann doch mit sich kumulierenden Effekten übersättigtem Klangspurt gerät.

Muss man selbst wissen … Wo steckt man diese Musik also hin? Das muss man vielleicht gar nicht beantworten. Man muss gar nichts.


Kerim König – Grounded [2024]

Written and produced by Kerim König

  • String orchestra: Scoring Berlin
  • Piano: Mayuko Miyata
  • Vocals: Teresa Bergman
  • Electronic programming: Kerim König
  • Orchestration: Andreas Lange
  • Recorded and mixed by Wolfgang Schiefermair at Teldex Studio Berlin
  • Mastered by Christoph Stickel, msmastering
  • Artwork by Alice Baldwin

Hey!blau Records (VÖ: 11.10.24)

Autor

  • Martin Hufner. Foto: Kurt Hufner

    Martin Hufner ist Musikjournalist, Musikwissenschaftler, Blogger. Er betreut nebenbei die Online-Redaktion der neuen musikzeitung.

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