18. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Quatuor Diotima / Conrado del Campo

Quatuor Diotima / Conrado del Campo
Quatuor Diotima / Conrado del Campo
Eine fulminante, fantastische Entdeckung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es ist bereits das dritte Album einer offenbar im Entstehen begriffenen Gesamteinspielung der Streichquartette von Conrado del Campo (1879–1953) – eines spanischen Komponisten, der nicht nur hierzulande eine Position weit unter dem «Radar» einnimmt. Schon zu Lebzeiten hat er außerhalb seiner Heimat kaum Spuren hinterlassen, obwohl er in Madrid als Professor für Harmonielehre und später Komposition eine ganze Generation unterrichtete, schließlich als Chefdirigent dem Nationalen Radiosinfonieorchester vorstand. Zahlreiche seiner Partituren (u. a. Zarzuelas und Sinfonien) sind ungedruckt geblieben. Von seinen 14 Streichquartetten, die zwischen 1903 und 1953 entstanden, dürften nun starke Impulse für die Rezeption seines weiteren Schaffens ausgehen.

Dass Conrado del Campo auch praktische Erfahrungen im Cuarteto Francés (ab 1903) und im Quinteto de Madrid gesammelt hat, merkt man sofort an der motivisch-thematischen Erfindung und Faktur seiner Streichquartette – so sicher ist die Anlage, so fundiert die Ausarbeitung. Das Streichquartett Nr. 8 E-Dur von 1913 atmet zwar noch das 19. Jahrhundert, verfällt aber nicht in nationalromantische Schwärmerei. Der junge Spanier klingt hier erstaunlich «böhmisch» (wie der späte Dvořák), aber mit einem ganz eigenen, nachdenklichen Ton, der von Satz zu Satz stärker hervortritt. Das fast drei Jahrzehnte später entstandene Streichquartett Nr. 9 in D-Dur (1942) knüpft daran an, zeigt aber, dass del Campo nicht stehen geblieben ist, sondern eine ganz eigene Sprache und Grammatik mit deutlichen tonalen Bezügen entwickelt hat und als wichtige Stimme zwischen den Epochen wahrgenommen werden muss. – Die Live-Mitschnitte dieser zwei CDs umfassenden Veröffentlichung sind akustisch hervorragend eingefangen, das Quatuor Diotima interpretiert die unbekannten Partituren nicht nur mit spürbarer Überzeugung, sondern auch mit Frische, Tiefe und spielerischer Präzision.

Conrado del Campo. Streichquartett Nr. 8 E-Dur (1913); Intermezzo-Scherzo on the surname Mi-la-nes (1941); Streichquartett Nr. 9 D-Dur (1942)
Quatuor Diotima

March Vivo MV 011 (2022, 2024)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 2 von 5 in Michael Kubes HörBar #129 – Streichquartette

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