Es gibt eine Sehnsucht auch nach Noise(-Musik). Die lässt sich ganz bequem herstellen mit den neuesten Mitteln der computerunterstützten Digitalproduktion. Es gehört zu den Kuriositäten, wenn dann dieses Material wieder in die Welt der analogen Musikreproduktion zurückübersetzt wird. Hier geht es auf die Schallplatte, auf Vinyl. Klar, eine ganze Musikszene hat sich nie von dieser Art der Musikherstellung getrennt. So wie sich neuerdings wieder tatsächlich analoges Filmmaterial für Fotograf:innen anbietet, samt Chemikalien für die Entwicklung in einer Dunkelkammer, oder der Fotodose.
Bei der Musik, die Christopher Lock entwickelt, ist man jedoch ganz traditionell zwischen den Genres der Tanzmusik und der experimentellen elektronischen und elektroakustischen Musik aufgehoben – Grundlage sei fast immer der Klang der Viola, des Instruments, das Lock als traditionelles Instrument selbst auch spielt. Aber es geht bei Lock eindeutig in Richtung Noise. Noise, das ist da, wo die musiktheoretischen Begriffe von Tonhöhen, Harmonik aus dem Vokabular fallen und der Farbe, dem Puls der Vorrang erteilt wird. Letzterer bleibt verknüpft mit Tanz und mit dem Rausch des Rauschens. Manchmal gewinnt der durch eine Bassfigur verknüpfte Grundrhythmus die Oberhand, zumal wenn Christopher Lock an der Viola Minimal-Figuren zuliefert wie in «Lightlike».
Dem sonst so natürlich Drang nach zeitlicher Unendlichkeit in der Ausdehnung von Noise gibt Lock nicht nach. Zwischen 2 und circa 6 Minuten bewegen sich sechs der sieben Tracks. Nur der letzte Track ist gewissermaßen «episch» mit etwas über 10 Minuten und einem sehr sprechenden Titel «42StBP» – bei dem man sich in der Tat auch eine durchaus 30- bis 90-minütige Version vorstellen könnte. Es ist ja so, dass diese Art der Musik eine ganz Zeit lang Einschwingleistungen der Hörenden abfordert, das Ein- und Abtauchen in den großen Haufen aus Tonstroh.
Diese Musik lebt mehr durch Andeutungen einiger Stilmerkmale populärer elektronischer Dancemusic, als dass sie diese in massentauglicher Weise formatiert. Und sie bleibt in ihrer Noisehaftigkeit immer einige Spuren unter der gewaltigen Krachigkeit insbesondere der japanischen Szene.
Christopher Lock: Ephemerist [2024]
Protomaterial Records 2024 (Streaming, Download, LP – VÖ: 12. Juli 2024)