Sehr kontinuierlich und keineswegs überstürzt schreitet die aus der Schweiz umfassend gesponserte Gesamteinspielung der Sinfonien von Joseph Haydn voran. Nun liegt die Folge 15 vor, mit Werken aus der mittleren Zeit (wenn man so will). Aber was sagt das schon aus? Haydn ist in nahezu jeder seiner Sinfonien so originell, wie man es anderen Komponisten in ein oder zwei Werken wünschen würde. Das wirklich Fantastische an dieser betont gemächlichen (und damit alles andere als zeitgemäßen) Serien-Produktion sind die sich immer wieder einstellenden (Neu-)Entdeckungen. Haydn definiert in den 1770er und 1780er Jahren tief in der Provinz genau das, was später die «Sinfonie» ausmachen sollte. Und so hat auch die Folge 15 der Gesamteinspielung jeden Pokal verdient – ja, wenn da nicht eine gewisse institutionelle Reserve gegenüber dem beständig Herausragenden bestehen würde. Dabei ist Haydn immer herausragend…
Tatsächlich scheint Giovanni Antonini diese drei Sinfonien etwas weniger forsch als andere in den vorhergehenden Produktionen anzugehen. Verloren ist dabei nichts – gewonnen jedoch viel. Denn die Partituren bieten in nahezu jedem Takt eine überraschende oder zumindest logische Wendung, die man auch aus sich selbst heraus sprechen lassen kann. Auf diesem Album ist jedenfalls die Sinfonie Nr. 50 mein Favorit. Eine langsame Einleitung, die den Kopfsatz feierlich vorbereitet – und ohne die Beethoven kaum zu denken ist. Ein unscheinbares Hauptthema, das aber gleich in ein schwungvolles Forte übergeht (und wo ist überhaupt ein zweites Thema?). Genial ist der wiederholte Wechsel zwischen Unisono und zweistimmigen Partien, die harmonische Zuspitzung und Auflösung in der Reprise. So einfach, so genial geht Musik. Und so gut und anhaltend interessant lässt sie sich umsetzen. Wer den «Papa Haydn» sucht, ist hier falsch. Wer den wahren Komponisten kennen lernen will: Hier ist der Einstieg!
Joseph Haydn. Sinfonie Nr. 85 B-Dur «La Reine» Hob. I:85; Sinfonie Nr. 62 D-Dur Hob. I:62, Sinfonie Nr. 50 C-Dur Hob. I:50
Kammerorchester Basel, Giovanni Antonini
Alpha ALP 696 (2021)