8. September 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Gerdes: African contemporary piano music

Gerdes: African contemporary piano music

Ohne Umschweife: Ein exzellentes Album mit spektakulärer Musik, gespielt mit einer liebenswürdig-kräftigen Sorgfalt und einer weichen Präzision. Da werden auch selbst Etüden zum geschmeidigen, kulturfaltenwerfenden Vergnügen.

Ein Blick auf den Kontinent kann zwar nur mikroskopische Spuren der vielen Poetiken ausgewählter Kulturen einsammeln, doch beleuchten diese Partikel, inwieweit global verankerte Musikkulturen zugleich mit sich selbst als individuellen Erfahrungsweisen von sozialer, ästhetischer und politischer Welt kommunizieren.

Andile Khumalos Kompositionen sind dabei deutlich von Studien an den Zentren westeuropäisch-amerikanisch Ästhetiken orientiert. Eher im Nachhall der Musik, die als unhörbare Lücke nicht erklingt, denkt man sich geisterhaft geradezu den Klangschatten unhörbar dazu. Clare Lovedays «Johannesburg-Etüden» tönen mächtig zugleich und auch wie Klangfilze. Chidi Obijiaku «Walk in a misty morning» paraphrasiert bildreich eine wandernde Erkundung vor Ort.

Die «Five Short Piano Pieces» von Ezra Abate Yimam sind wie für Jan Gerdes‘ pianistische Kunst gemacht. Hier kommt seine Art der vornehmen Annäherung an Spielweisen des Unnotierbaren deutlich zur Geltung. Gerdes setzt die Musik mit Atmosphäre in Szene und wirbelt zwischen geradezu feurigen Passagen und ausgedünnten Linien.

Bongani Ndodana-Breens «Isiko» ist eine eher virtuos und etwas wirre Komposition, die sich nicht ganz entscheiden will, wohin und warum sie so fragmentiert im Ausdruck pendelt und musikalische Schlagzeilen aneinanderreiht. André Bangambula Vindus «Lullaby» spiegelt für mein Gefühl dessen Erfahrungen wider, die er als Student der Komposition «von 1985 bis 1991 Komposition bei Wang Qiang und Zhao Xiao-sheng, Fugenkomposition bei Chen Ming-zhi und Polyphonie bei Lin Hua am Shanghai Conservatory of Music» gemacht haben dürfte und die hier vornehm zurückhaltend aufeinandertreffen.

Und das ist dann doch interessant, wie hier Kongo auf China trifft oder im Fall von Ezra Abate Yimam, der in Bulgarien an der Akademie für Musik, Tanz und Bildende Kunst in Plovdiv seine Klavierausbildung ergänzte und bei Ivan Spassov studierte, Äthiopien auf osteuropäische Kulturen. Es ist die Porosität der Kulturen und Lebensgeschichten, die in der gebotenen Ausschnitthaftigkeit der Werkauswahl über Adjektiv «afrikanisch» hinausweist und doch ästhetische Kernpunkte eigener Identitäts- und Stilbildung erschließt.

Ein 28-seitiges zweisprachiges Booklet ist informativ und wirklich hilfreich bei der Erschließung der musikalischen Ideenwelten zeitgenössischer afrikanischer Klaviermusik.


Jan Gerdes: African contemporary piano music [2024]

  • Kompositionen von Clare Loveday, Andile Khumalo, Chidi Obijiaku, Ezra Abate Yimam, Bongani Ndodana-Breen und André Bangambula Vindu

Genuin Records, GEN 24888 (VÖ: 05.07.2024 – CD/Vinyl/Digital on all platforms)

 

Autor

hoerbar_nmz

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