21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Bach.Berlin Fundstücke / Schäfer & Hollmann

Bach.Berlin Fundstücke / Schäfer & Hollmann
Bach.Berlin Fundstücke / Schäfer & Hollmann
Dieses Album blickt tief in die musikalische Bach-Rezeption des ausgehenden 18. Jahrhunderts und weit darüber hinaus. Im Fokus stehen dabei drei der fünf Töchter des Berliner Bankiers und Hoffaktors Daniel Itzig, die alle eher unter ihren durch Heirat angenommenen Namen bekannt sind: Fanny von Arnstein (1757–1818), Zippora Wulff (1760–1836) und Sara Levy (1761–1854). Sie alle erlernten das Spiel auf dem Cembalo vermutlich bei Johann Philipp Kirnberger und Wilhelm Friedemann Bach. Teilweise konzertierten sie gemeinsam, später unterhielten sie in Wien (Fanny, Zippora) bzw. in Berlin (Sara) bedeutende musikalisch-literarische Salons – und stellen auf diese Weise auch ein Bindeglied über die Epochen hinweg dar: Johann Friedrich Reichardt berichtet von einem «förmlichen Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach-Kultus» im Elternhaus.

Dort war man unter anderem bestrebt, sich ein Repertoire für zwei Cembali anzulegen – Abschriften, die sich bis heute erhalten haben. Eine Auwahl davon haben Lisa Schäfer und Gregor Hollmann als Duo auf zwei Instrumenten in deutscher und französischer Bauart eingespielt: Es handelt sich um Bearbeitungen von Sätzen aus Bach’schen Triosonaten, die durch zweihändige Werke von Johann Heinrich Rolle (1716–1785), Christian Friedrich Schale (1713–1800) und Christian Gottfried Krause (1719–1770) ergänzt werden. Eine bemerkenswerte Zusammenschau, die von Forschergeist und der Suche nach Zusammenhängen und Kontexten getragen wird. Ob allerdings die interpolierten Lesungen von drei Briefen und Notizen sein müssen, sei einmal dahingestellt. Ich persönlich lese so etwas lieber im Booklet (und mit den dazugehörenden Quellenangaben), als das allzu wohl artikuliert dargeboten zu bekommen – zumal in einer sehr ungewöhnlichen räumlichen Akustik, wo doch solche Schriftstücke eher privater Natur sind. Flüssig interpretiert und aufführungspraktisch reflektiert, realisieren Lisa Schäfer und Gregor Hollmann dieses Album auf hohem Niveau in einer unaufdringlichen Mischung aus Dokumentation und Entdeckungsreise.

Bach.Berlin Fundstücke
Johann Sebastian Bach. Allegro BWV 529/1; Adagio BWV 525/2; Wilhelm Friedemann Bach. Cantabile c-Moll Fk 46/2; Johann Heinrich Rolle. Sonate G-Dur; Carl Philipp Emanuel Bach. Duett F-Dur Wq 115/2, Duett Es-Dur Wq 115/4; Christian Friedrich Schale. Die Seufzer der Chloris; Christian Gottfried Krause. Sonate Es-Dur; Johann Sebastian Bach. Sonate e-Moll BWV 528; François Couperin. Allemande A-Dur; Johann Sebastian Bach. Vivace BWV 1061/3; Wilhelm Friedemann Bach. Presto F-Dur FK 10/3
Lisa Schäfer und Gregor Hollmann (Cembalo), Anne-Katrin Schlegel (Rezitation)

Ambitus amb 96 843 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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