Es sind am Anfang ein paar dumpfe Schläge in den Korpus des Klaviers, dazu gesellen sich obertonreiche, die Saiten mitklingen lassen und dann geht alles über in einen rhythmischen Flow. Aber alles ohne die Klaviermechanik in üblicherweise zu nutzen. Schaefer tastet den Aufnahmeraum hier aus wie eine Fledermaus. Mit den Klopfklängen bekommt man eine Vorstellung vom Raum gleich mit. Zugleich ist rein kompositorisch eine Umformung von Raum zu Rhythmus. Bewegend.
Im nächsten Track mit dem Titel «Jet Stream» verwirklicht sich der Albumname «Power». Kinetische Energie im Fluss des Melos, Zwischenstationen komplexer Akkordreihen, die das aufbauen, was man als Atmosphäre bezeichnen kann. Dabei aber ist die Musik in vielen Farben von Anschlag und Register einerseits so zwingend wie bezaubernd komplex. Kurz: reichhaltig.
Und so geht es weiter: Ein Gefühl von Blues und Rock in «Mind Your Step» magnetisiert und zieht einen hinein und macht einen mit der Erde bekannt und doch ist gleichzeitig die harmonische Wendungsfreudigkeit, später die dynamische Differenziertheit im Rechts-Hand-Solo geradezu schelmisch doppelbödig. Man geht hörend mit, wird an die Hand genommen. Verführerisch.
Benjamin Schaefer schreibt, dass er kompositorisch sich mit Fibonacci-Zahlenfolgen beschäftigt und mit den «vier Grundelementen und ihren Zuschreibungen» gearbeitet habe. In unterschiedlicher Solo- oder multipler Kombination. Das kann man schwer nachverfolgen, sicher im ersten Stück in der Art, wie es sich rhythmisch verdichtet. Das mag die Mechanik sein. Doch natürlich besteht auch diese Musik wie jede andere von Reichhaltigkeit aus mehr Dimensionen. Das Material der Musik ist nolens volens historisch und damit verklammert mit jeder einzelnen Erfahrung des Musikers und der der Zuhörenden. So tanzt man mental in «Aurora» sich wiegend und anschmiegend mit, wie eingebettet – aber durchaus ein bisschen schläfrig – bevor eine pentatonische Kaskade in goldenen massiven Akkordketten sich auflöst. Auch das ist «Power».
Dieses Album gibt es aktuell nur digital. Und nur vielleicht, wahrscheinlich eher nicht, auf bekannten Streaming-Plattformen. Schaefer schreibt dazu:
«Auch auf Produktionsebene findet sich der Nachhaltigkeitsgedanke wider. Der Verzicht auf physische Tonträger spart Ressourcen und vermeidet Müll aus Überproduktion. Stattdessen wird es als zusätzliches Verkaufsformat Samentütchen geben, die neben dem Downloadcode für das digitale Album auch keimfähige Pflanzensamen enthalten – als Sinnbild für die immense „Power“ sehr kleiner Dinge und als Einladung an jede:n Käufer:in, die unmittelbare Umwelt lebewesenfreundlich zu gestalten. Um unvermeidbare Emissionen aus Produktion und digitaler Nutzung zu kompensieren, gehen 10% der Verkaufserlöse als Spende an Moorschutzprojekte des BUND.»
Mir gefällt das. Ebenso wie die musikalische Komplexität, die Schaefer mit seinen einzelnen Kompositionen wie im Gesamtbild des Albums erzeugt und die ihre Wirkung nicht verfehlt. Kunstvoll ungekünstelt. Darum geht es doch. Die Machart verschwindet in der Formulierung des Resultats als der eines ästhetischen Ereignisses an sich. Ob das wie bei «The Gathering» als Geheimnis zwischen feinsten Kontrasten und Farbstufen im Piano-Inside-Stil passiert oder dann wie bei «Heritage» sind wieder kinetischer Geläufigkeit und Variantenfreudigkeit ausdrückt.
Der schöne Schein der Musik ist ein Versöhnungsangebot an uns alle! Mit der Bitte um Nachsicht, Respekt und Rücksicht uns allen gegenüber. Druckvoll mit allen – nicht nur musikalischen – Sinnen. Lässig und durchlässig. So wie das Album sich freundlich in eine Weite des Nachklingens verabschiedet.
Benjamin Schaefer – Power [2024]
- Benjamin Schaefer – piano
- There Was
- Jet Stream
- Mind Your Step
- The Fountain
- Aurora
- Dissolve
- We Didn’t
- The Gathering
- Heritage
- A Way Above The Chimney Tops
- The Inward Song
- Closer
for the records FTR 003 (VÖ 1.3.2024 – nur digital)
- Recorded by Hrólfur Vagnsson @ DLF Kammermusiksaal, Cologne, mastered by Hrólfur Vagnsson, artwork & design by Travassos. Produced by Odilo Clausnitzer (DLF) and Benjamin Schaefer. All comp. by Benjamin Schaefer (GEMA)