21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Lamoninary / Ensemble Hemiolia

Lamoninary / Ensemble Hemiolia
Lamoninary / Ensemble Hemiolia
In der Ausgabe #111 widmet sich die Hörbar nicht etwa Einspielungen einer der bekannten Klaviersonaten Beethovens, auch nicht längst vergriffenen Veröffentlichungen des legendären Labels opus 111, sondern Produktionen, die sich einem «Opus 1» widmen. Die recht bunte Runde eröffnet die 1749 in Paris gedruckte Sammlung von Triosonaten eines gewissen Jacques-Philippe Lamoninary (1707–1802) – ein großer Unbekannter der Musikgeschichte. Wer in der MGG (auch online) sucht, wird nichts finden. Er soll sehr gut die Violine beherrscht haben, aber nach Paris scheint es ihn nicht (zumindest nicht nachhaltig) gezogen zu haben: Nach langen Jahrzehnten in Valenciennes (im äußersten Norden Frankreichs gelegen) starb Lamoninary im damals erstaunlichen Alter von 95(!) Jahren am Ärmelkanal in der Hafenstadt Boulogne-sur-Mer.

Vier gedruckte Sammlungen sind von ihm überliefert, und wie so oft sind es zu jener Zeit sechs Triosonaten, die auf diese Weise ihren Weg in die Welt gehen sollten; bis heute haben sich nur Exemplare in Paris, London und Bologna erhalten. Die Werke zeigen, dass Lamoninary offenbar genau wusste, was Mitte des 18. Jahrhunderts musikalisch «angesagt» war: Sie sind dreisätzig angelegt (und schließen oftmals mit einem Minuetto), atmen mehr den fernen italienischen als den regionalen französischen Stil und geben sich recht galant (die beiden Violinen werden vielfach in Terzen geführt, polyphone Passagen sind rar). Was an diesem Album in doppelter Weise fasziniert, ist die originelle Frische – zum einen die der Werke, die mit einem Komponisten bekannt machen, der in der französischen «Peripherie» wirkte (wie auch andere Meister abseits der Musikmetropolen ihre eigene Sprache fanden), zum anderen die geradezu unaufgeregte Lebendigkeit der Interpretation: Das Ensemble Hemiolia gelangt aus sicherer Technik heraus zu einer bemerkenswert freien, atmenden und fließenden Gestaltung. Allerbeste musikalische Unterhaltung. Entdecken und staunen!

Jacques-Philippe Lamoninary. Six Sonatas op. 1 für 2 Violinen und Basso continuo
Ensemble Hemiolia

Passacaille PAS 1136 (2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 1 von 5 in Michael Kubes HörBar #111 – Opus 1