Wen das Lesen dieses Namens überrascht, dem ergeht es beim Hören der Musik kaum anders. In der Tat handelt es sich bei Klaus Fischer-Dieskau (1921–1994) um den älteren Bruder des deutschen Lieder-Fürsten Dietrich Fischer-Dieskau, der mit seiner markanten, das Wort ausdeutenden Art des Vortrags mindestens eine ganze Generation geprägt hat. Um den älteren ist es hingegen weitgehend ruhig geblieben und – noch mehr – geworden: Wohl nur in Berlin ist Klaus Fischer-Dieskau als ehemaliger Leiter des Hugo-Distler-Chors im Gedächtnis; dass er auch komponierte, dürfte nur wenigen bekannt oder erinnerlich sein. Dabei umfasst sein Schaffen 110 Opera, darunter neun Streichquartette, die im Booklet als «Haltepunkte seines kompositorischen Schaffens» bezeichnet werden (der Nachlass liegt seit 2020 in der Berliner Staatsbibliothek).
Nun könnte man meinen, dieses Album sei eher eine familiäre Angelegenheit. Bei Sophie Tangermann, der Primaria des Albis Quartetts, handelt es sich tatsächlich um die Enkelin des Komponisten. Doch weit gefehlt! Zum einen überzeugt das in Magdeburg beheimatete Albis Quartett durch seine ausgewiesene Spielkultur und hörbare «Lust» auf die hier erstmals eingespielten Werke; sodann haben mit Fabian Frank und Martin Nagorni zwei hervorragende Tonmeister das Album produziert. Und die Musik? Die beiden jeweils dreisätzigen Quartette zeigen einmal mehr, dass die Auflösung des Tonalen in der Nachkriegszeit nur eine Option war. Das erste Quartett knüpft gefühlt bei Brahms an, erweist sich allerdings als viel klassizistischer in Struktur und Sprache. 32 Jahre später klingt dann vieles linearer, auch spritziger, und doch erkennt man immer die harmonischen Bezugspunkte. Ob es eine Fortsetzung geben wird? Falls ja, werde ich mit Sicherheit reinhören!
Klaus Fischer-Dieskau. Streichquartett Nr. 1 d-Moll op. 16 (1946); Streichquartett Nr. 4 in A op. 81 (1978)
Albis Quartett
arcantus arc 21026 (2020)
https://open.spotify.com/album/02nxH8aTV2ORyzJC2B5PhW