Dieses Album ist eine Rarität. Das betrifft zunächst das Label Perfect Noise aus Waldenbuch (vor dort kommt auch die quadratische Schokolade her), vom dem ich bisher rein nichts gehört hatte. Dabei offenbaren nicht erst die jüngsten Produktionen, mit wie viel Engagement hier Schätze produziert werden – Schätze, die es in sich haben, interpretiert von Künstlern und Ensembles, die eine Bleibe für die Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Entdeckungsreisen gefunden haben. So auch das in Köln beheimatete, international besetzte Ensemble Altera Pars, das sich nicht das erste Mal beim Graben nach unerhörtem Repertoire verdient gemacht hat. Hier nun sind es Werke von Sebastian George, der bisher nur in der älteren russischen Musikgeschichte mit kurzen Randnotizen bedacht wurde.
Um 1740 in Mainz geboren, versuchte Sebastian George seit Mitte der 1760er Jahre im fernen, 2.500 Kilometer entfernen Moskau sein Glück als Musiker und Komponist – offenbar mit Erfolg und guten Kontakten in hochgestellte Adelskreise. Von 1776 bis 1779 findet man ihn in St. Petersburg als geschäftstüchtigen Kaufmann, der Noten, Instrumente, Wein und andere schöne oder nützliche Dinge importiert. Wieder in Moskau, wurde 1780 seine einzige Oper aufgeführt, 1782/83 betätigte er sich (ganz zeitgemäß) als Impresario – bevor sich (vorläufig) seine Spur verliert. 1790 ist eine Tochter in Karlsruhe nachweisbar, nur kurze Zeit später ist die Familie wieder in Moskau… (welch Wegstrecken!) Von Sebastian Georges Werken haben sich nur sehr wenige Abschriften oder Druckexemplare erhalten – sie sind offenbar so rar, dass man bisher kaum etwas Substanzielles darüber aussagen konnte (siehe oben, die alten Randbemerkungen). Was nun zu hören ist, kommt für mich einer kleinen Sensation gleich. Denn Georges Instrumentalmusik, die stilistisch und der Besetzung nach in den Vorabend der «Klassik» zu verorten ist, ist schlichtweg hochkarätig in Erfindung und Faktur. Leere Gesten sind George fremd, eher ist alles von Ausdruck und sehr klar gestalteter Empfindsamkeit geprägt. Genau hier setzt das auf «alten» Instrumenten musizierende Ensemble Altera Pars an: Es hört ganz bewusst in die Partituren hinein, vollzieht die Entwicklungen von Form und Satz nach, atmet mit den Linien, formt einen sehr runden, eleganten, gelegentlich auch zupackenden individuellen Klangcharakter. Auch aufnahmetechnisch handelt es sich bei dem Album um eine der gelungensten Kammermusikproduktionen der letzten Monate. Für mich in jeder Hinsicht eine Entdeckungsreise.
Sebastian George. A Lifelong Journey
- Sonate B-Dur für Klavier, zwei Violinen und Violoncello
- Quartett F-Dur für zwei Flöten, Viola und Violoncello
- Streichquartett d-Moll
- Sonate D-Dur für Klavier und Flöte, Quartett B-Dur für Violoncello obligato, Flöte, Violine und Bass
- Quintett B-Dur für zwei Flöten, zwei Violinen und Violoncello
Ensemble Altera Pars
Perfect Noise PN 2206 (2022)
- Suppé / In 80 Tagen um die Welt
- Habbestad / Quattro stazioni
- Journeys / Music from Five Continents
- Railroad Rhythms
- Sebastian George / A Lifelong Journey