21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Wilhelm Grosz / Achtung, Aufnahme!!

Wilhelm Grosz / Achtung, Aufnahme!!
Wilhelm Grosz / Achtung, Aufnahme!!
Ja, ist das denn möglich? Mit einiger Überraschung darf man im Booklet lesen, dass das vorliegende Album das letzte der Ebony Band sein wird. Nach 32 Jahren, über 200 Konzerten und noch mehr Entdeckungen ist nun Schluss. Immerhin: die Einspielungen werden bleiben, ebenso wie die reichen Inhalte der dem Ensemble eigenen Homepage, die zum Netherlands Music Institut in Den Haag überführt und langfristig gesichert werden sollen. Denn wer sich für die stilistisch so unterschiedliche und so reiche Musik der kurzen Zeit zwischen den Weltkriegen interessierte, war bei den fantastischen Repertoire-Ausgrabungen von Werner Herbers immer an der richtigen Stelle. Das letzte Album nun (wo doch vermutlich das Archiv noch reich gefüllt sein dürfte) greift selbst weit zurück: bei dem Einakter Achtung, Aufnahme!! (1930) von Wilhelm Grosz (1894–1939) auf eine halbszenische Aufführung aus dem Jahr 2005, bei den beiden von Herbers selbst erstellten Potpourris zweier Werke von Walter Goehr (1903–1960) und Mátyás Seiber (1905–1960) auf Mitschnitte von 1999 und 2002.

Um Wilhelm Grosz ist es viel zu lange viel zu ruhig gewesen – er teilte zumindest in der Rezeption seiner komponierten Darbietungsmusik das Schicksal fast aller anderen Emigranten. Im Bereich des jazzigen Schlagers (wo sich Grosz schon in den 1920er Jahren hervorgetan hatte) war er jedoch weiterhin erfolgreich tätig. Mit Achtung, Aufnahme!! (1930) schuf er ein Stück im Stil der am Ende der Weimarer Republik beliebten Zeitoper – hier einen Filmdreh, bei dem der sich einschleichende eifersüchtige Mörder in dieser Rolle auch gleich unfreiwillig engagiert wird. Ein im Ansatz ironischer, dann melancholisch gebrochener Plot («Das ist das Lesen selbst. Wirkliche Tränen, wirklicher Schmerz.»), der aber trotz der flotten Rhythmen in der Partitur selbst über nur einen Akt nicht recht zu ziehen mag (auch nicht im Video-Mitschnitt der etwas steifen Inszenierung, der bei Youtube zu finden ist). Und dennoch ist die Produktion überaus instruktiv, um das Lebensgefühl der Zeit nachvollziehen zu können («Mit echten Schmerzen kann man viel verdienen.»). Musikalisch griffiger und aus dem Variété stammend mutet das Potpourri aus Walter Goehrs Komödien in Europa (1930) an, während Mátyás Seibers Die vertauschten Manuskripte (1931) nicht ohne Weills Dreigroschenoper und Wagners Meistersinger zu denken ist. Verblüffend. – Auch wenn ich mir manches flüssiger vorstellen könnte, mit etwas mehr Risiko und Freiheit belebt, steht am Ende doch ein Wunsch: Möge noch mehr aus dem Archiv der Ebony Band veröffentlicht oder wenigstens zugänglich werden.

Wilhelm Grosz. Achtung, Aufnahme!! (1930); Walter Goehr. Komödien in Europa, Potpourri (1930); Mátyás Seiber. Die vertauschten Manuskripte, Potpourri (1931)
Franziska Hirzel (Sopran), Lilia Milek (Sopran), Dirk Laplasse (Tenor), Terence Mirau (Tenor), André Post (Tenor), Matthijs van der Woerd (Bariton), Romain Bischoff (Bass-Bariton), Harry van der Kamp (Bass), Capella Amsterdam, Daniel Reuss, Ebony Band, Werner Herbers

Channel Classics CCS 46823 (1999, 2002, 2005)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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