3. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Haydn / Die Tageszeiten

Haydn / Die Tageszeiten
Haydn / Die Tageszeiten
So (oder jedenfalls sehr ähnlich) muss es geklungen haben. Jedenfalls spielt das Ensemble Florilegium die drei frühen Tageszeiten-Sinfonien von Joseph Haydn in der fast schon kammermusikalischen Besetzung, die zu Beginn der 1760er Jahre auch die noch recht überschaubare Hofkapelle des Fürsten Esterhazy aufwies. Was indes Haydn ihr kompositorisch auf den Leib schneiderte, wie er die Instrumentalisten auf ungezwungene Weise hervortreten lässt, ohne dabei allzu programmatisch zu sein oder in einem formalen Gerüst nach Art einer «Sinfonia concertante» zu agieren, ist noch immer eine höchst spannende, ja faszinierende Angelegenheit. Es bedarf dabei allerdings auch eines den Werken angemessenen interpretatorischen Zugangs. Ich kann mich jedenfalls noch daran erinnern, wie meine eigene, sehr lange zurückliegende erste diskographische Begegnung mit den Kompositionen viele Fragezeichen und fast schon Unverständnis hinterließ (zu groß das Orchester, zu unflexibel und ohne sprechenden Gestus musiziert).

Glücklicherweise räumt nun das Ensemble (oder besser: Orchester?) Florilegium damit kräftig auf – und hat in mir geradezu ein Feuer für diese recht eigenwilligen Sinfonien entzündet. Das liegt an gleich drei Aspekten, die freilich alle miteinander zusammenhängen: Da wäre also zunächst die kleine Besetzung, die nicht nur den historischen Gegebenheiten entspricht, sondern auf ganz eigene Weise ein flexibles Changieren zwischen Solo und Tutti ermöglicht. Dann kommt die individuelle Qualität aller Instrumentalist:innen hinzu, so dass es an keiner Stelle zu einer Unausgewogenheit kommt (bei Bläsern wie Streichern). Und schließlich ist das noch der von Ashley Solomon gewählte interpretatorische Zugang, der die Werke nicht rückblickend aus der Sicht des reifen Haydn musizieren lässt, sondern die ein wenig unbequem einzuordnenden Partituren als das nimmt, was sie sind: Wunderbar eigenwillige und eigenständige Schöpfungen aus einer Zeit des Suchens und des Übergangs, die vor Originalität nur so sprühen. Der sehr mediterran anmutende warme Klang der Einspielung lässt einen tatsächlich bestens durch den täglichen Morgen, Mittag und Abend gleiten.

Joseph Haydn. Sinfonie Nr. 6 D-Dur Hob. I:6 (Le martin); Sinfonie Nr. 7 C-Dur Hob. I:7 (Le midi); Sinfonie Nr. 8 G-Dur Hob. I:8 (Le soir)
Florilegium, Ashley Solomon

Channel Classics CCS 44722 (2021)

HörBar<< Mozart / Haffner-SerenadeMozart / Le Concert de la Loge >>

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

    View all posts
hoerbar_nmz

Der HörBar-Newsletter.

Tragen Sie sich ein, um immer über die neueste Rezension informiert zu werden.

DSGVO-Abfrage*

Wir senden keinen Spam! Erfahre mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Teil 4 von 5 in Michael Kubes HörBar #077 – Haydn & Mozart