Frühjahr 2020. Es wird still. Nach all den Absagen von Konzerten, Besuchen und Reisen richtet man es sich daheim ein. Während manche auf dem Sofa «tapfer» gegen das Virus kämpfen, andere ihre Ablage auf Vordermann bringen oder Keller und Dachboden aufklaren, sind alle Musiker:innen dazu verdammt, sich solistisch mit ihrem Instrument auseinander zu setzen. Kann man sich auf dem Klavier noch selbst begleiten, ist bei Streichern (und mehr noch bei den Bläsern) das Repertoire „für sich allein“ stark begrenzt. Vor allem ist es anspruchsvoll. Hier kommt nun der Lockdown ins Spiel: Nach dem Wegfall aller Verpflichtungen landen wieder jene Noten auf dem Pult, die viel Zeit, konzentrierte Muße sowie ausdauernde technische wie tonliche Tüftelei beanspruchen. Die Ergebnisse dieser unvorhergesehenen künstlerischen Auseinandersetzung wurden in der Regel noch 2020 eingespielt – teils unter Bedingungen, die dann auch das „Solo“ allzu wörtlich erscheinen lassen …
Bei Augustin Hadelich waren es Bachs Sonaten und Partiten, die den unverhofften Freiraum füllten. Und es ist eine Interpretation entstanden, die mit Blick auf den mit großen Namen besetzten Katalog Bestand haben wird. Vor allem zeigt Hadelich, dass es musikalisch für ihn zwischen historischer Praxis und modernem Zugriff kein Entweder-Oder gibt. Stahlsaiten und Barockbogen bringen die einst von Henryk Szeryng gespielte Guarneri del Gesù warm, kräftig und differenziert zum Klingen. Im Ansatz eher traditionell, atmet Hadelichs Spiel indes große Kantabilität, überzeugt durch unaufgeregte Frische und selbstverständliches technisches Vermögen. Die weite melodische Linie wird nicht gezeichnet, sondern musikalisch gedacht, die latente Mehrstimmigkeit nicht markiert, sondern aus sich heraus artikuliert. Eine Ohrenweide.
Johann Sebastian Bach. Sonaten und Partiten BWV 1001–1006
Augustin Hadelich (Violine)Warner 0190295048747 (2020)