21. November 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Paris / Hilary Hahn

Paris / Hilary Hahn
Paris / Hilary Hahn

Eine CD ist mehr als nur ein Silberling. An ihr zählt auch die Verpackung, einschließlich das Artwork des Covers. In diesem Fall zeigt es ein farbensattes Blütenmeer, in dem sich Hilary Hahn sichtlich wohlfühlt. Vielleicht das richtige Bild zu einer grauen Jahreszeit – und doch: Welche Botschaft mag sich hinter den Blumen verstecken? Sind sie ein Gruß an Einojuhani Rautavaara, von dem die beiden letzten Werke hier erstmals eingespielt wurden? Oder ist alles doch nur Zufall? Mit «Paris», so das Motto des Albums, haben sie wohl nur wenig zu tun. Ohnehin muss man sich die Zusammenhänge erst erarbeiten, die sich hier hinter dem an Assoziationen so reichen Namen der Seine-Metropole verbergen.

Bei Ernest Chausson («Poème») verhält es sich recht einfach – er unterhielt in seiner Heimatstadt an der Wende zum 20. Jahrhundert einen bedeutenden musikalischen Salon. Das erste Violinkonzert von Sergej Prokofjew wurde 1923 vom Orchester der Pariser Oper unter Serge Koussevitzky uraufgeführt, es entstand jedoch bereits 1916/17 in Russland. Auch die beiden Serenaden von Rautavaara erklangen erstmals in Paris (2019); bei ihnen waren Hilary Hahn selbst und Mikko Franck als Chefdirigent des Orchestre Philharmonique de Radio France die Impulsgeber. Aufgrund der unterschiedlichen Konstellationen fällt es ein wenig schwer, hier einen eng gezwirbelten roten Faden zu finden. Man muss dazu dann doch das begleitende Statement der Solistin bemühen, in dem sie von ihrer engen künstlerischen Beziehung zu der Stadt und dem Orchester berichtet.

Interpretatorisch verblüfft Hilary Hahn bei dem in jeder Hinsicht anspruchsvollen Violinkonzert von Prokofjew mit einer beglückenden Leichtigkeit, die alle Schwierigkeiten des Soloparts vergessen macht. Fast elegant erscheint so die bisweilen kantige Partitur. Ohnehin glänzt die Produktion durch Wohlklang: ungezuckert, aber wie auf einer freundlichen Wolke schwebend. Das kommt gerade den Serenaden zugute – zwei Konzertstücken, deren letztes im Angesicht des Todes eine Liebeserklärung an das Leben darstellt: «pour la vie».


Paris / Hilary Hahn

  • Ernest Chausson: Poème op. 25;
  • Sergej Prokofjew: Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 19;
  • Einojuhani Rautavaara. Sérénade pour mon amour (2016), Sérénade pour la vie (2018)

Hilary Hahn (Violine), Orchestre Philharmonique de Radio France, Mikko Franck

Deutsche Grammophon 483 9847 (2019)

 

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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Teil 4 von 4 in Michael Kubes HörBar #031 – Blütenlese