Das bloße Abgleiten in die Stille ist nichts für Zeynep Gedizlioğlu. Vielmehr entfaltet sie selbst in den Pausen eine Spannung, die es mit der Kraft des Tönenden aufnehmen kann. Es ist eine unmittelbar erfahrbare Expressivität, die von der Musik Gedizlioglus ausgeht – wohl auch, weil sie sich nicht an abstrakten Plänen festhält, sondern den Akt des Komponierens für sich als ein „Hin und Her zwischen Spontaneität und Intellekt“ definiert hat. Die daraus erwachsene musikalische Sprache strotzt nur so vor Selbstbewusstsein und Stärke; sie beschränkt sich nicht auf knappe Abläufe, sondern kann spielerisch auch weite Bögen beschreiten. Exemplarisch für alle hier eingespielten Werke steht dafür die Erläuterung zu Sights of Now, in der Gedizlioglu die kantige Gestik und zwingende Rhetorik dieses Werkes für zwei Klaviere und Streichquartett beschreibt: „Zersplittern, durcheinanderbringen, sammeln, aufbauen, durcheinander bringen, wieder aufbauen, wieder sammeln … Verknüpfen, unvereinbar lassen. Vergessen, wiederfinden, vergessen, etwas anderes finden, immer weiter…“
Doch nicht nur die Entfaltung, Explosion und Implosion des Materials machen die Partituren zu einem nachdrücklichen Erlebnis; es sind ebenso die vielfach eingewobenen Haltetöne, die zwischen einzelnen Abschnitten, Klangblöcken oder auch Linien Orientierung bieten. Deutlich wird dies nicht nur in den „drei Akten“ von Verbinden und Abwenden für Ensemble und Orchester, sondern mehr noch in der Reduktion des fünfstimmigen Vokalwerks Kelimeler, das gerade in der Reduktion eine geradezu berückende Vielgestaltigkeit und Polyphonie entfaltet. Die vorbildlich produzierte CD in der renommierten Reihe Edition zeitgenössischer Musik ist freilich mehr als nur ein klingendes Portrait – es ist eine nachdrückliche Empfehlung, die mit ihrer Spannkraft überzeugende Kompositionen auch mutig aufs Programm zu setzen.
Zeynep Gedizlioğlu. Sights of Now (2013–2017), Jetzt – mit meiner linken Hand (2014), Verbinden und Abwenden (2016), Kelimeler (2013–2014, rev. 2017), Blick des Abwesenden (2018)
Klavierduo Yukiko Sugawara und Tomoko Hemmi, Quatuor Diotima, Klangforum Wien, Leonhard Garms, Ensemble Modern, Ilan Volkov, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Tamara Stefanovich (Klavier), hr-Sinfonieorchester, Jonathan StockhammerWergo 64282-2 (2017, 2018)