6. Dezember 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Zürcher Sing-Akademie – Fritz Stüssi

Zürcher Sing-Akademie – Fritz Stüssi
Zürcher Sing-Akademie – Fritz Stüssi
Eine wahre Ausgrabung und Entdeckung! Und es stehen vermutlich noch viele weitere wunderbare Werke zur Wiederbelebung in Aussicht. Dass man bisher nichts von dem Schweizer Fritz Stüssi (1874–1923) hörte, lag an dem in Privatbesitz befindlichen, reichen kompositorischen Nachlass, von dem kaum etwas aus älterer Zeit gedruckt vorlag. Der Nachlass befindet sich seit 1997 in der Zentralbibliothek Zürich und tritt erst jetzt, nach dem 100. Todestag, auch klingend wieder in Erscheinung. Stilistisch fällt es freilich schwer, Stüssi einzuordnen. Melodisch und gestisch knüpft er unbedingt bei Mendelssohn an, es finden sich aber auch deutliche Anklänge an Brahms und Bruch, bei dem er in Berlin ein Jahr lang studierte.

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Stüssi wirkte vor allem in zahlreichen Gemeinden rund um den Zürichsee als Chorleiter und Organist, darüber hinaus organisierte er Konzerte. Dass er seine Kompositionen (es handelt sich vor allem um Vokalwerke) nicht datierte, mag etwas verwundern. So ist unklar, wann genau er sein Hauptwerk Vergehen und Auferstehung schrieb, das im Autograph den Titel Fantasie in Form eines Oratoriums trägt. Bei einer Aufführungsdauer von knapp 30 Minuten verlangt es mit vier Solostimmen, gemischtem Chor, Knabenchor und Orchester doch einen beträchtlichen Apparat. Dass Stüssi sich nicht scheute, auch Bibelverse zu vertonen, die bereits im Deutschen Requiem von Brahms Verwendung gefunden hatten, und dabei einen eigenen Ton fand, zeugt von Selbstbewusstsein und schöpferischer Kompetenz. Das macht es den Interpreten dieses Albums leicht, sich engagiert den Partituren zu widmen. Tatsächlich sollte Stüssi trotz einiger Rückbezüge keinesfalls als Epigone abgestempelt werden – Kirchenmusik war schließlich schon immer eine eher konservative Angelegenheit. Mich überzeugt seine zeitlose Musik jedenfalls. Chorleiter:innen, die auf der Suche nach neuem romantischem Repertoire sind, sollten „Stüssi” jedenfalls nicht gleich wieder vergessen …

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Fritz Stüssi. Vergehen und Auferstehen; Psalm 28 für Soloquartett, Chor und Orgel; Wo du hingehst; Zwei Motetten; Mit Fried und Freud ich fahr dahin; Abend für Sopran, Chor und Orgel; Zum Neujahr für Sopran, Alt, Chor und Orgel
Hannah Morrison (Sopran), Ingeborg Danz (Alt), Fabio Trümpy (Tenor), Krešimir Stražanac (Bass), Johanna Soller (Orgel), Zürcher Sing-Akademie, Zürcher Kammerphilharmonie, Florian Helgath

Claves Records 50-3085 (2019, 2020)

HörBar #172 – Schweiz

Art’Ventus Quintet – Swiss Treasures

Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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