31. Oktober 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Jazz Violin Concertos

Jazz Violin Concertos
Jazz Violin Concertos

Der Titel wirkt auf mich ein wenig irritierend. Denn er suggeriert eine stilistische Definition, die so nicht gegeben ist und die auch auf die Bezeichnungen der hier eingespielten drei Partituren verweist. Tatsächlich wird man am ehesten noch das mehrteilige Konzertstück Wings (kein Konzert!) von Friedrich Gulda (1930–2000) als ein «Jazz Concerto» aufrufen, weil es von den Gegensätzen und im letzten Abschnitt von der «rythm section» lebt. Herbert Berger hingegen (*1969) nannte sein «Konzert» Metropoles Suite, Sabina Hank (*1976) das ihre Three Songs for an Abandoned Angel.

Was alle drei Kompositionen indes vereint, dass ist mit Benjamin Schmid ein Solist, der mit seiner Violine und von einer klassischen Ausbildung kommend sich einem unbedingten Crossover verpflichtet fühlt – und dies nicht erst mit diesem Album. Frei verfügt er über die verschiedenen Spieltechniken, kann vom einen zum anderen Moment wechseln und damit nicht bloß Gegensätze aufstellen. Seine Spritzigkeit ist einnehmend – wenn es da nicht eine ganz im Hintergrund mitlaufende, kaum spürbare Bremse geben würde. Einen unsicheren und bisweilen auch spröden Eindruck hinterlässt das im schwedischen Växsjö beheimatete Ensemble Musica Vitae. Hier sind es die kleinen, oft eigentlich zu vernachlässigenden Momente, die zum Störer werden. Auch lässt es eine ähnliche interpretatorische Präsenz vermissen. Ein Album, das gerade beispielhaft für das Suchen nach neuen Wegen in einer Zeit ohne richtungsweisende Orientierungen steht.

Jazz Violin Concertos
Herbert Berger. Konzert für Violine und Streichorchester (Metropoles Suite); Friedrich Gulda. Konzertstück für Violine, Streichorchester und Rhythm Section (Wings); Sabina Hank. Konzert für Violine, Streichorchester & Drums (Three Songs for an Abandoned Angel)
Benjamin Schmid (Violine und Leitung), Christian Lettner (Drums), Musica Vitae

Gramola 99 284 (2020, 2021)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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This entry is part 5 of 5 in the series HörBar #168 – jazzy

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