jazz – Akhunov / Poulenc / MessiaenHeute stellt sich mitunter die Frage, was wirklich unter «Jazz» zu verstehen ist. In den 1920er und 1930er Jahren war es anders: Damals wurde vieles allzu großzügig unter diesem Label subsumiert – in der Literatur, in der bildenden Kunst, aber auch in der Musik. Oft genügte das bloße Ausbrechen aus festen (oder als fest empfundenen) oder auch nur tradierten Formen. In der Literatur jedoch wurde der Jazz selbst zum Thema gemacht, dann aber bezog er sich meist auf den Tanzjazz mit Tango, Boston und Shimmy. In der bildenden Kunst taucht er in der stilisierten Darstellung von Jazzbands auf (etwa bei Otto Dix). Noch 1947 veröffentlichte Henri Matisse ein aus Scherenschnitten bestehendes Künstlerbuch unter dieser Bezeichnung…
Die darin versammelten 20 Illustrationen regten wiederum Sergey Akhunov (*1967) zu einer Sammlung von 15 Stücken für Violine und Klavier an – ein Werk, das zwar wenig mit dem musikalischen «Jazz» zu tun hat, aber auf seine eigene Art Geschichten erzählt (und nicht nur Farbe in Musik setzt) –, auch wenn manches ein wenig blass, anderes zu ruppig anmutet. Andererseits haben Julia Igonina und Maxim Emelyanychev genau den richtigen Tonfall getroffen, ohne sich anzubiedern. All dies erscheint ohnehin eher als Vorspiel zu Violinsonate von Francis Poulenc, die nahezu zeitgleich zu den Schnitten von Matisse entstand; nur wenig früher datiert Messiaen Quatuor pour la fin du temps, von dem ein Satz den Abschluss des Albums bildet. Interpretation und Aufnahme sind so stimmig wie die Dramaturgie, wobei die vergleichsweise lange Sonate das Herzstück bildet.
jazz
Sergey Akhunov. Jazz; Francis Poulenc, Sonate für Violine und Klavier; Olivier Messiaen. Louange a l’Eternite de Jesus aus: Quatuor pour la fin du temps
Julia Igonina (Violine), Maxim Emelyanychev (Klavier) Aparté AP 329 (2020)
Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.