18. September 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Steve Reich – Mivos Quartet

Steve Reich – Mivos Quartet
Steve Reich – Mivos Quartet
Unter dem Titel «The String Quartets» sind auf diesem Album erstmals alle drei Werke versammelt, die Steve Reich mit einem Streichquartett besetzt hat. Eine zugegeben zögerliche Formulierung, denn es besteht ein gravierender Unterschied zwischen der Besetzung und der mit ihr verbundenen Gattung. Selbst das 1998 entstandene Triple Quartet (1998, ohne vokale Zuspiele) verlangt nach drei Ensembles oder im Vorwege einer Aufführung produzierte Zuspielbänder. Das Ensemble erscheint dabei nicht mehr als Formation vier gleichberechtigter Stimmen, sondern als ein Instrument – eine satztechnische Entscheidung, die sich so schon in den Quartett-Konzerten von Louis Spohr und später Erwin Schulhoff findet. Bei WTC 9/11 (2010) und Different Trains (1988) treten hingegen reale Stimmen hinzu, die den musikalischen Verlauf beeinflussen, wenn nicht gar bestimmen. Also: Streichquartette – aber in welchem Sinn?

Tatsächlich kreiselt das Booklet um genau diese Frage, wenn Steve Reich selbst mit den Worten zitiert wird: «I never expected to write a string quartet.» Wenn dann noch die Unterschiede zu den Interpretationen des Kronos Quartets diskutiert werden, beschleicht einen zunächst das Gefühl, Zeuge einer künstlerischen Auseinandersetzung (oder: eines Abarbeitens) zu werden. Dann aber wird jedoch rasch klar, dass lediglich der Weg zu einer eigenständigen Deutung ansatzweise dokumentiert wird. Denn das Mivos Quartet hängt seine Ohren nämlich deutlich an die präformierten Worte und Phrasen, nimmt sie auf, trägt sie instrumental weiter, statt sich zu emanzipieren. Der Sound ist damit ein gänzlich anderer – man könnte anerkennend auch von einer Demut gegenüber den vokalen Zuspielungen sprechen. Und vielleicht liegt darin die wahre Kunst, diese Wege zum Klingen zu bringen: als rhythmisch-harmonische Begleitung eines größeren Gedankens.

Steve Reich. The String Quartets
WTC 9/11 (2010); Triple Quartet (1998); Different Trains (1988)
Mivos Quartet

Deutsche Grammophon 486 3385 (2020)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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