4. Dezember 2024 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Isabelle Faust / Violinkonzert

Isabelle Faust / Violinkonzert
Isabelle Faust / Violinkonzert
Als dieses Album im Februar 2020 erschien, war die Welt an vielen ihrer Ecken noch eine andere. Wer an die Zeit vor den Corona-Lockdowns zurückdenkt, er-innert sich wahrscheinlich auch an eine Reihe von eigenen Plänen und Projek-ten, die nie verwirklicht wurden. Und als diese Krise überwunden war, stand schon die nächste vor der Tür… Umso mehr haben sich Gespräche und Musik eingebrannt. Hätte ich damals schon diese CD in der Hand gehabt – sicher auch diese Aufnahme des Violinkonzerts von Arnold Schönberg. Eine zwölftönige und doch in der Anlage neoklassizistische Partitur, in der Interpretation von Isabelle Faust hochemotional gedeutet und damit unmittelbar erfahrbar. Das Erstaunliche: Man erfährt viel über Schönbergs Ausdruck, mehr noch über seinen charakteristischen Stil, seine Klangfarben – da spielt dann auch die harmonische Organisation des Tonsatzes eine untergeordnete Rolle. Isabelle Faust spielt ihren Part mit einer solchen Souveränität und gestalterischen Fülle, wie man sie in Mozarts Konzerten von jedem verlangt, sie lässt die Musik geradezu entstehen – und wird dabei vom Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding erstklassig unterstützt. Verkopft klingt da kein Takt.

Anders sieht es bei der hochromantischen Verklärten Nacht aus – hier in der Originalfassung für Streichsextett, besetzt mit erstklassigen Musiker:innen. Natürlich sitzt alles, aber ist es auch natürlich? Gerade bei diesem Werk erscheint mir (paradoxerweise) manches zu durchdacht, zu kontrolliert, auch zu gewollt – als wolle man dem glühenden Sog der Linien und Klänge nicht ganz trauen. Tatsächlich verliert die Interpretation dadurch an atmosphärischer Dichte und Stringenz, wirkt eher wie der historische Kommentar zu einem vergangenen Ereignis – wo doch die Protagonisten aus Richard Dehmels Versen sich wortlos umfänglich ausdrücken. – Das Album bietet damit einen seltsamen, völlig unerwarteten Querstand.

Arnold Schönberg. Violinkonzert op. 36 (1936); Verklärte Nacht op. 4
Isabelle Faust (Violine), Katherine Schreiber (Violine), Antoine Tamestit (Viola), Anne Danusha Waskiewicz (Viola), Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Christian Poltéra (Violoncello), Swedish Radio Symphony Orchestra, Daniel Harding

harmonia mundi HMM 902341 (2018, 2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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