18. Januar 2025 nmz – HörBar – unabhängig / unbestechlich / phonokritisch

Isabelle Faust / Violinkonzert

Isabelle Faust / Violinkonzert
Isabelle Faust / Violinkonzert
Als dieses Album im Februar 2020 erschien, war die Welt an vielen Ecken noch eine andere. Wer an die Zeit vor den Corona-Lockdowns zurückdenkt, erinnert sich wahrscheinlich an eine Reihe von eigenen Plänen und Projekten, die nie verwirklicht wurden. Und als diese Krise überwunden war, stand schon die nächste vor der Tür… Umso mehr haben sich die Gespräche und Musik jener Zeit eingebrannt. Hätte ich damals schon diese CD in die Hand bekommen, sicher auch diese Aufnahme des Violinkonzerts von Arnold Schönberg. Eine zwölftönige und doch in der Anlage neoklassizistische Partitur, in der Interpretation von Isabelle Faust hochemotional gedeutet und damit unmittelbar erfahrbar. Das Erstaunliche ist: Man erfährt dabei viel über Schönbergs Ausdruck, mehr noch über seinen charakteristischen Stil, seine Klangfarben – da spielt dann die harmonische Organisation des Tonsatzes eine untergeordnete Rolle. Isabelle Faust gestaltet ihren Part aus einer solchen Souveränität und Fülle heraus, wie man sie sonst eher in den Mozart-Konzerten verlangt und hört, sie lässt die Musik geradezu neu entstehen – und wird dabei vom Swedish Radio Symphony Orchestra unter Daniel Harding erstklassig unterstützt. Kein einziger Takt klingt verkopft.

Anders sieht es bei der hochromantischen Verklärten Nacht aus – hier in der Originalfassung für Streichsextett, besetzt mit erstklassigen Musiker:innen. Natürlich sitzt alles, aber ist es auch natürlich? Gerade bei diesem Werk erscheint mir (paradoxerweise) manches zu durchdacht, zu kontrolliert, bisweilen zu gewollt, als könne man dem glühenden Sog der Linien und Klänge nicht ganz trauen. Tatsächlich verliert die Interpretation dadurch an atmosphärischer Dichte und Stringenz, sie wirkt eher wie der historische Kommentar zu einem vergangenen Ereignis – wo doch die Protagonisten in Richard Dehmels Versen sich wortlosganz unmittelbar ausdrücken. – Das Album bietet damit einen seltsamen, völlig unerwarteten Querstand.

Arnold Schönberg. Violinkonzert op. 36 (1936); Verklärte Nacht op. 4
Isabelle Faust (Violine), Katherine Schreiber (Violine), Antoine Tamestit (Viola), Anne Danusha Waskiewicz (Viola), Jean-Guihen Queyras (Violoncello), Christian Poltéra (Violoncello), Swedish Radio Symphony Orchestra, Daniel Harding

harmonia mundi HMM 902341 (2018, 2019)

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Autor

  • Michael Kube

    Dr. Michael Kube, geb. 1968 in Kiel, studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Europäische Ethnologie/Volkskunde. Promotion mit einer Arbeit über Hindemiths frühe Streichquartette (1996), Habilitation mit Studien zu einer Kulturgeschichte des Klaviertrios (2016). Seit 1998 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neuen Schubert-Ausgabe (Tübingen), seit 2002 zudem Mitglied der Editionleitung. Er ist seit 2007 Kuratoriumsmitglied (und seit 2013 Vorsitzender) der Stiftung Kulturfonds der VG Musikedition.

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